»Der BGH hat einen Haftbefehl erlassen«
Interview: Henning von StoltzenbergAm 20. Januar haben sich sieben junge Antifaschistinnen und Antifaschisten im Zusammenhang mit dem »Budapest-Verfahren« nach zwei Jahren Flucht den Behörden gestellt. Was können Sie zum Hintergrund der Personen und den Tatvorwürfen sagen?
Meiner Mandantin und weiteren Personen wird vorgeworfen, an Angriffen auf deutsche, polnische und ungarische Neonazis im Februar 2023 in Budapest/Ungarn beteiligt gewesen zu sein. Sowohl in Deutschland als auch Ungarn werden deswegen Ermittlungsverfahren u. a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und gefährlicher Körperverletzung geführt. Es gibt einen deutschen Haftbefehl und einen Europäischen Haftbefehl aus Ungarn.
Bei dem »Tag der Ehre« handelt es sich um ein Sammel- und Vernetzungstreffen europäischer Neonazis. Anlass ist das Gedenken an den erfolglosen Ausbruchsversuch der Deutschen Waffen-SS, Wehrmacht und ungarischer Kollaborateure am 11. Februar 1945. 2003 hat der ungarische Arm des militanten neonazistischen »Blood and Honour«-Netzwerks die Organisation des Aufmarschs übernommen und seit 2018 die »Legion Hungaria«, eine Gruppe mit etwa 200 Mitgliedern, die als die dynamischste ungarische Neonaziorganisation mit guten internationalen Verbindungen gilt.
Wie groß sind diese Aufmärsche?
Es nehmen mehrere tausend Neonazis teil. Hunderte können dabei Jahr für Jahr in historischen Uniformen marschieren, die häufig mit Nazisymbolen wie Hakenkreuzen versehen sind. Aus Deutschland nehmen Personen aus dem militanten Neonazispektrum teil, insbesondere von den neonazistischen Kleinparteien »Die Rechte« und »Der III. Weg« sowie aus sogenannten freien Kameradschaften.
Stellvertretend für die Eltern hatten wenige Stunden, nachdem sich die Gesuchten gestellt haben, drei Mütter auf einer Pressekonferenz in Berlin gefordert, dass ihre Kinder nicht in Untersuchungshaft genommen werden sollen, da sie sich freiwillig bei den Behörden gemeldet haben. Ist die Bundesanwaltschaft dem nachgekommen?
Nein. Der Bundesgerichtshof hat gegen meine Mandantin einen Haftbefehl erlassen. Obwohl durch ihre Selbststellung klar zum Ausdruck gekommen ist, dass sie sich einem Verfahren stellen wird, hat der Bundesgerichtshof Fluchtgefahr angenommen.
Die deutschen Behörden scheinen in diesem Verfahren die Zustände in Ungarn bisher weitgehend zu ignorieren, während andere EU-Staaten eine Auslieferung abgelehnt haben. Wie ist es möglich, unter den Umständen zu verteidigen?
Jedes Auslieferungsverfahren verlangt eine neue gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen eines fairen Verfahrens in Ungarn sowie der dortigen Haftbedingungen. Aus der Vergangenheit und aktuellen Erkenntnissen wissen wir, dass in Ungarn beides nicht gewährleistet ist. Ich werde alles Mögliche versuchen, um in einem Auslieferungsverfahren das Fehlen eines fairen Verfahrens sowie die menschenrechtswidrigen Haftbedingungen in Ungarn zur Geltung zu bringen. Genauso wichtig ist es, dass aus der Öffentlichkeit Forderungen gegen eine Auslieferung der jungen Menschen an die zuständigen Behörden erhoben werden.
Auch wird es darauf ankommen, wie sich der Generalbundesanwalt verhalten wird. Dieser könnte erklären, dass dem Verfahren in Deutschland der Vorzug gegeben wird. Die anderen Verteidigerinnen und Verteidiger fordern wie ich von den deutschen Behörden, dass die jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht an das rechtsautoritäre ungarische Regime ausgeliefert werden.
In Nürnberg hat am Wochenende eine Solidaritätskundgebung für einen der Beschuldigten stattgefunden. Weitere Kundgebungen sind auch für andere Städte angekündigt. Hat die Solidarität mit den Betroffenen merkbar zugenommen, seit die sieben sich gestellt haben?
Es gab bereits zahlreiche solidarische Kundgebungen mit den verfolgten Personen überall in Deutschland. Solidarität kann es jedoch nie genug geben.
Lukas Bastisch ist Rechtsanwalt in Berlin und vertritt eine Nazigegnerin im sogenannten Budapest-Komplex
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