Junge Kriegerinnen
Von Eileen HeerdegenIch bin 16 und sitze mit Regina und einer Flasche Erdbeersekt von Aldi für 1,99 DM auf der Bank neben der Telefonzelle, obwohl es schneidend kalt ist (aber was soll man machen, wenn man das Zimmer mit dem kleinen Bruder teilen muss) und schreie gemeinsam mit den Lambrini Girls: »C-U-N-T, I’m gonna do what’s best for me / I’m cunty«!
Meine Mutter hält sich noch im Grab erschrocken die Ohren zu und macht la-la-la, aber keine Panik, Mama, natürlich hat in der Zeit der Zwei-Groschen-ein-Gespräch-Telefonzellen kein Mädchen das böse F-Wort verwendet. Weibliche Geschlechtsorgane als derbstmögliche Beleidigung zu missbrauchen, während die faltigen Säckchen männlich gelesener Lebewesen – cojones!, Eier! – größtmöglichen Respekt bezeugen, sagt viel über eine Gesellschaft. Woman is the nigger of the world, aber du hast nichts zu verlieren außer deinen Ketten. Und so beanspruchen zahlreiche Frauen der Popkultur, von Beyoncé bis zur Hamburger Rapperin Shirin David (»fotzig feminin«), die Beleidigung als Empowerment, Symbol für Stolz und Schönheit.
Trotzdem hat sich in den Jahrzehnten außer der Telefonzelle wenig geändert, selbst der Fusel ist ähnlich. Lambrini ist der Birnenbruder vom Cider und verdingt sich in allerlei erlesenen Aromatisierungen als billigstes weinähnliches Getränk in britischen Pubs und Supermärkten mit eindeutigem Sub-Standard-Image. Gemäß dem alten Werbeslogan, »Lambrini Girls just wanna have fun«, haben Sängerin und Gitarristin Phoebe Lunny und Bassistin Lilly Macieira-Boşgelmez eindeutig großen Spaß daran, ihre Wut herauszuschreien. Die beiden 20jährigen aus Brighton haben ein kraftvolles, gelegentlich anstrengendes, Debüt hingelegt, ein Mix aus Punk, Postpunk, Noise und Grunge mit erstaunlich guten und direkten Texten.
»Who Let the Dogs Out« – hier geht es nicht um Waldi und Fiffi, sondern um die »Big Dick Energy«, um Männer, die glauben, ihr Zumpferl sei der Schlüssel zur Weltherrschaft. »BDE«, hauptsächlich in den USA ein Synonym für natürliche Überlegenheit, ausgehend von der Vorstellung, ein besonders üppig ausgestatteter Mann sei von Natur aus ein selbstbewusster und überlegener Gewinner. (Donald? Elon? Okay, Milliarden gleichen vieles aus.) Tatsächlich sind es Männer, die uns belästigen, seit wir zwölf sind, uns Angst machen, uns zwingen, die Straßenseite zu wechseln und den Schlüssel als mögliche Waffe in der Hand zu halten, wenn wir nach 22 Uhr auf dem Heimweg sind. Man hört die Kriegsbemalung, wenn Phoebe in ihrem südenglischen Dialekt schreit: »It’s not that fucking big.«
30 Jahre nach der Riot-Grrrl-Bewegung kommt wieder Farbe in die Girlbandszene. Doch die Lambrini Girls setzen sich nicht nur für die Rechte von Frauen und queeren Menschen ein, es geht insgesamt um gesellschaftliche und globale Missstände. Ein Album wie ein Wahlprogramm, im Opener »Bad Apple« gar wie ein Dokumentarfilm, in dem man sich fast selbst von einer übermächtigen Polizei gejagt fühlt. »Officer, what is the problem? Can we only know postmortem? Not just bad apples, it’s a whole rotten tree.«
Gentrifizierung (»You’re Not from Around Here«) ist ein Thema, eine hübsche Idee das nur 17 Sekunden dauernde, selbst als »communist propaganda« bezeichnete Manifest mit Namen »Scarcity Is Fake«. Gegen die Magersucht ankämpfen – »Nothing Tastes As Good As It Feels« nach dem legendären Zitat des englischen Models Kate Moss, nichts schmecke so gut, wie es sich anfühlt, knochig zu sein, oder der Angebeteten vorlügen, man sei »No Homo«. Ja, auch bei den wütenden jungen Engländerinnen dreht sich viel um die Liebe, die angeblich nichts weiter als der falsche Ort zum Sterben ist (»Love1«). Liebesqualen mit Erbrechen zu vergleichen, »I love you so much, it makes me feel sick / So hold back my hair until I stop, hey!«, finde ich allemal interessanter als die gehypten Befindlichkeitsstörungen einer Taylor Swift.
Hinter all dem Gitarrengewitter, dem treibenden Schlagzeug von Demelza Mather (sie komplettiert die Girls live und im Studio) und der trotzig-rotzigen Attitüde der Sängerin verbirgt sich eine durchaus heterogene Zusammenstellung von Musikstilen und eine bemerkenswerte Fingerfertigkeit am Instrument – weit, weit oberhalb der berühmt-berüchtigten drei Punk-Akkorde.
Zum Schluss die große Überraschung mit »Cuntology 101«, einem geradezu fröhlichen Gute-Laune-Song für Menschen, die keine Gute-Laune-Songs mögen. Irgendwo zwischen alternativem Kinderchor und einem schrägen 80er-Jahre-Klassiker von Devo. Die Zeit ist reif, dass sich Dos und Don’ts für (junge) Frauen endlich ändern – in diesem Sinne (alle Mütter Ohren zuhalten): »Doing a poo at your friend’s house is cunty.«
Lambrini Girls: »Who Let the Dogs Out« (City Slang)
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