Geld abzugeben
Von Marc Hieronimus
Eine neue Mitarbeiterin der Volkssparkasse Dünnwald-Holweide hatte Reuter versehentlich das Vermögen der Bill-Gates-Stiftung überwiesen. Wie er auf dem Kontoauszug sah, lag der Vorfall schon einige Wochen zurück. In der Zwischenzeit waren bereits einige Millionen Dollar Zinsen eingegangen. Frau Bongartz, Reuters langjährige Sachbearbeiterin, konnte ihm nicht wirklich weiterhelfen. Von dem verantwortlichen »jungen Ding« habe man sich schon wieder getrennt, sagte sie, das sei schließlich nicht das einzige »Mallörchen« gewesen. »Ständig brachte sie alles durcheinander. Mir hat sie Apfelriemchen statt gedeckten Apfel vom Bäcker mitgebracht, können Sie sich das vorstellen? Mit diesen Zuckerkörnern oben drauf.« Reuter schüttelte sich mitfühlend. »Aber das Geld«, wollte er wissen, »diese Milliarden hier?« Frau Bongartz war mit den Gedanken noch beim Essen. Der Imbiss nebenan hatte mittwochs Sauerkraut und Kasseler, da würde sie sicher noch mal vorbeischauen. »Also, wir können das nicht mehr rückgängig machen. Entweder Sie kümmern sich selber darum, oder Sie behalten das Geld. Gehen Sie mal ins Kino davon, oder essen Sie Kasseler.«
Kasseler? Reuter war nicht überzeugt. Zu Hause ging er in sich. Solche Geldsorgen kannte er gar nicht. Der Zaster musste weg. Wer etwas haben wollte, sollte ihn einfach überzeugen. Auf eine Chiffreanzeige »Mio. in gute Hände abzugeben« kam körbeweise Post, vor allem von Kindern, die das Geld in Playstations, Weingummi und Stinkbomben stecken wollten. Die zweite Gruppe waren Wissenschaftler, deren Forschungsanträge seit Jahren abgelehnt wurden. Reuter gönnte einigen Projekten eine Million, weil sie so phantasievoll klangen, etwa der »Forschungsstelle Vergleichende Koprophagie, Schwerpunkt: Unpaarhufer« oder dem »Hannah-und-Eddi-Arendt-Kolleg für Homonymentrennung«. Die Kinder sollten auch was kriegen, aber nur Bioweingummi. Beim zwanzigsten Brief klingelte das Telefon. Frau Bongartz wollte nach einer Woche mal hören, wie die Dinge lagen. Reuter war erleichtert: »Wissen Sie was? Sie nehmen sich jetzt einen Stapel Spendenüberweisungsträger und schreiben große Zahlen darauf. In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen. Haben Sie schon gegessen?«
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