Verzögerungstaktik der Fleischbosse
Von Max Ongsiek![imago478164810.jpg](/img/450/205274.jpg)
Auch nach Abschaffung der Leiharbeit und dem Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie im Jahr 2024 sind die Arbeitsbedingungen dort immer noch prekär. Gezahlt wird schlecht, geschuftet viel. Als der auf 12,41 Euro erhöhte allgemeine Mindestlohn im selben Jahr um 11 Cent am Branchenmindestlohn der Fleischwirtschaft vorbeizog, reichte es. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) kündigte den geltenden Tarifvertrag zum 30. November 2024 fristgerecht. Das Ziel war jetzt: Durchsetzung eines Branchenmindestlohns, der deutlich über dem gesetzlichen liegt. Deswegen traf sich am 6. Januar eine Abordnung der NGG mit Vertretern des Sozialpolitischen Ausschusses der Fleischwirtschaft (SPA) in Hannover. Die Geschäfte des SPA führt der Verband der Ernährungswirtschaft e. V. (VdEW), der dort auch als Wortführer auftrat. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Während die Gewerkschafter sich kämpferisch gaben und verhandeln wollten, machten die Kapitalvertreter dicht. Denn sie waren ja nur zum Sondieren angereist, wie bei dem Treffen mehrfach betont wurde. Die NGG aber wollte verbindlich sprechen, und zwar über ihre Lohnforderung von 14,50 Euro die Stunde.
»Absoluter Kindergarten«, so fasste NGG-Verhandlungsführer Thomas Bernhard, der in Hannover einer 17köpfigenTarifkommission vorstand, das Ergebnis des ersten Verhandlungstags im jW-Gespräch zusammen. Seit der Kündigung des Tarifvertrags durch die NGG, so der Gewerkschafter, habe der VdEW bewusst das Zustandekommen der ersten Verhandlungsrunde verzögert und Gespräche monatelang verweigert. Statt auf die NGG-Forderung nach mehr Lohn einzugehen, habe der Hauptgeschäftsführer des VdEW, Vehid Alemić, schließlich von den »ganz vielen Herausforderungen« der Fleischindustrie schwadroniert, der es ja auch wegen einer angeblich »indoktrinierenden Politik der Grünen« wirtschaftlich »so schlecht ginge«, wie Bernhard gegenüber jW ausführte. Demnach sehe sich die Branche von verschiedenen Gefahren bedroht, die ihr Portemonnaie belasten: »Seuchen«, »steigende Rohstoff-, Energie- und Logistikkosten, Bürokratieauswüchse«, wachsende »Anforderungen an Nachhaltigkeit und Tierschutz sowie veränderte Verbraucherpräferenzen«, so der Ton der Verbandspresseerklärung vom Donnerstag.
»Das sind alles uralte Themen« winkte Bernhard ab. Hauptverursacher der angeblichen Branchenkrise sei aus Sicht der Kapitalseite neuerdings die Maul- und Klauenseuche. Ein vorgeschobener Grund, so Bernhard. Denn unter das Exportverbot von Rohwurst fielen lediglich zehn Prozent der deutschen Fleischproduktion. Tatsächlich hätte Alemić im Gespräch den Gewerkschaftern schon angedeutet, dass es der Fleischindustrie gar nicht um die Frage gehe, ob man mehr Geld zahlen wolle oder nicht, sondern darum, ob es in Zukunft überhaupt einen Branchenmindestlohn geben werde, so Bernhard. Dabei steigt die hiesige Fleischproduktion erstmals seit 2016 wieder an. Die entsprechenden Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Freitag veröffentlichte, sind üppig: 6,9 Millionen Tonnen Fleisch haben die gewerblichen Schlachtunternehmen 2024 hergestellt, 97.200 Tonnen, oder 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr.
Ein höherer Mindestlohn wäre ein erster Schritt zu besseren Arbeitsbedingungen, so Bernhard. Besonders der Mix aus niedrigen Löhnen und einem hohen Grad an Arbeitsteilung in der Industrie sei belastend. Bernhard erklärte, dass auch in den oberen Lohngruppen keine »Millionen« gezahlt werden würden. Weil der Facharbeiterlohn bei rund 16 Euro liege, würde bei einer weiteren Erhöhung des Mindestlohns bald auch da keine Differenz mehr bleiben, so Bernhard. Nach dem Abbruch der Tarifverhandlungen forderte die NGG-Tarifkommission den Verband der Ernährungswirtschaft auf, »schnell einen neuen Termin vorzuschlagen, in dem über einen Mindestlohn für die Branche verhandelt wird«, so die Presseerklärung der NGG. Der Frage, ob die Gewerkschaft in Zukunft zu Streik aufrufen werde, wenn die Kapitalseite weiterhin nicht auf ihre Forderung nach mehr Geld eingehe, wich der Gewerkschafter vorerst aus.
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