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Aus: Ausgabe vom 10.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Fischen gehen

Wer es nicht pur mag: Poppys aktuelles Album »Negative Spaces«
Von Ken Merten
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Kann zu allem tanzen: Poppy

Sie kann, sie muss eigentlich, sie will vielleicht: Als im vergangenen Februar, am Rande ihrer UK-Tour als Support der US-amerikanischen Metalcoreband Bad Omens das britische Musik- und Mode­magazin Clash Poppy fragte, ob ihr neues Album denn nun wieder härter werden würde, schien sie es selber nicht genau zu wissen. »Kommt darauf an, wo ich gerade bin«, kommentierte sie ihren Arbeitsprozess mit durchaus diversem Output relativ vage. 2020 erschien »I Dis­agree«, das fünfte Album der 1995 in Boston (Massachusetts) geborenen Sängerin und Youtuberin und das erste, auf dem sie sich an Metal­elementen probierte und auch guttural sang. 2023 aber erschien mit »Zig« eine LP mit dominantem Popbeat ohne Griff in die Nietengürtelnische; ein Werk, zu dem auch Heidi Klum ihre Topmodels über den Runway scheuchen könnte. Produziert wurde es vom iranischstämmigen Schweden Ali Payami, der Beats u. a. für so unsterbliche wie vergängliche Göttinnen Taylor Swift und Katy Perry herstellt. »Für ›Zig‹ wollte ich einfach ein paar Tanzmusikvideos, also habe ich rückwärts gearbeitet«, so Poppy. Erst Choreo und Video, dann die passende Musik dazu.

Zum Verdruss ihres Metalfananhangs, hatte sie damals wenig Lust auf Headbanging und Moshpit. Zuletzt aber hat sie mit »Negative Spaces« ihren Status als »Scream Queen« nicht nur wiederhergestellt, sondern ausgebaut. Vom primär rauhere Gitarrenmusik vertreibenden Label Sumerian Records herausgebracht, wird in Poppys achtem Langspieler nicht an Powerchords gespart: In »They’re All Around Us« bricht das Doppelfußgewitter los, Poppy keift die Strophen durch; man könnte meinen, es mit einem der ruppigen Songs der Progressive Metalcorecombo Spiritbox zu tun zu haben, von der Poppy während des vergangenen Festivalsommers auch mal als Gast auf die Bühne gebeten wurde. »Crystallized« wiederum ist mit J-Pop-Einschlag und vom Rechner aus Einsen und Nullen herbeisynthetisierten Drums ein Stück, das man eher zu »Zig« sortieren würde. Dass auf Deftiges Süßes folgt, macht den Genuss des anschließenden Songs »Vital« um so größer: Mit Rockinstrumentarium, zaghaftem Gitarrenverzerrereinsatz und einem My Verfremdungseffekt zur Kenntlichmachung des Refrains durch Autotune gelingt Poppy eine träumerische Phantasiefusion, die als Schnittmenge ihre buntscheckige Hörerschaft in Gänze abholen könnte: »I tear through the lines, seeking absolution / Can a fragile heart decide on you?« Hört sich ganz so an, als täte es das, ja, zweifellos.

Nun mag man das alles als strategischen Kniff auf dem Musikmarkt abtun, das Fischen bei einem Publikum, das mehr Metallica-Lieder kennt als »Nothing Else Matters«. Sicher verleitet der generisch-rockige Title Track von »Negative Spaces« mit seinem Partyrock, dem zweisilbig-vorsprachlichen Group Shout im Hintergrund des Kehrreims und dem matten Gitarrensolo dazu, daran zu denken, hier würde einfach alles für alle angeboten. Dabei sind die Genreversuche zu viele und mehrheitlich zu gelungen, um wirklich davon ausgehen zu können, hier spiele eine nur das Spiel anderer Leute, um ebenjene zu erreichen, die die Swifties-Army als feindliche ansehen. Die ans schizoide heranreichende Zerreißprobe scheint Poppy sehr wohl bewusst: Zu »The Center’s Falling out«, einer Krawallwalze, die Hardcoregrößen wie Stick to Your Guns zu ihren rauesten Zeiten und neue Metalphänomene wie Heriot auch nicht brachialer auffahren könnten, filmt sich Poppy im dazugehörigen Video scheinbar selbst; eine Kamera folgt Poppy als Sängerin und Poppy als Kamerafrau, die ihrem Ich ambivalent gegenübersteht. Dem Schreihals das Mikro wegnehmen oder abgehen, wenn er brüllt, allenfalls aber draufhalten: »Hell has no end / Hate has no bounds / You’re breathing / But the center’s fall­ing out / Blood in the leaves / Hand over mouth / Won’t hear your screams / While the center’s falling out.«

Das verlangt Pop denen ab, die ihn schaffen: Sich damit zu arrangieren, was man will, was man kann und was wiederum verlangt wird – und dazwischen suchen, was das eigene sein kann, was mehr ist als das statistisch Wahrscheinliche. Auch im dunkelsten und schimmligsten Kellerproberaum Oslos, an dessen Pforte das Schild »Kein Zutritt für Christen und Tontechniker« hängt, gilt das Gesetz, was Poppy mit ihren »Negative Spaces« gleichsam befolgt und bricht – zur Freude aller, die es nicht pur mögen.

Poppy: »Negative Spaces« (Sumerian Records)

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