Sprachgebrauch
Von Jürgen Roth
Die achtundachtzigjährige Buchingers Emmi kommt auf einen Schnack vorbei. Das Leben meiner Mutter ist auf die eigenen vier Wände beschränkt, und sie freut sich sehr über einen Austausch mit ihrer alten Schulfreundin.
Die Buchingers Emmi, die noch einigermaßen mobil ist, muss auf Toilette. »Weißt«, sagt sie, nachdem sie wieder im Sessel Platz genommen hat, »mit die Entwässerungstabledden, da musst in greeßten Drab aufs Klo. «
Ich liebe das Mittelfränkische, diesen weichen Dialekt, der sich vor jedem Anspruch auf Herrschaft duckt. Dass Hitler in Franconia nicht ohne Grund die »Brücke nach Berlin« ausgemacht hatte, kann man dennoch nicht unerwähnt lassen.
»In greeßten Drab« (»in«, nicht »im«, mit der Grammatik haben’s die hendiadyoinverwöhnten Franken und Freien nicht besonders) – im größten Trab, in höchster Eile, so sprechen sie im Dunstkreis der Nürnberger Mogelaltstadt.
Seit ich diese auf Befehl des Damenmoguls Merg installierte Kolumne betreibe und eisern am Traben halte, fallen mir Dinge auf, die normalerweise vom Alltagsperzeptionsfilter aussortiert werden. Man, hoha! spitzt die Ohren und registriert die putzigsten Usancen.
In Martin Scorseses anbetungswürdigem Filmgemälde »GoodFellas« wird in einer der genialen Kamerafahrten von Michael Ballhaus auch das Familienmitglied Doppel-Jimmy vorgestellt. Im Original spricht Ray Liotta aus dem Off: »Jimmy Two Times, who got that nickname, because he said everything twice.«
Wir haben überall Doppel-Jimmys. Mein Freund Lerd, der Metzgerkaiser, sagt alles zweimal, mindestens: »Naa, des is’ net meins. Naa, des is’ net meins.« Lkw-Fahrer Gerhard, der Gute, sagt alles zweimal, mindestens: »Na, hör na auf! Na, hör na auf! Des mitm Klub werd nix. Mit dem Klub, des werd nix. Des werd nix mitm Klub. Nix wie G’schlamp’ und Woar auf dera Dreckswelt, nix wie G’schlamp’ und Woar.«
Ebenso Wirt André. Jüngst ward in unserem Kneipenkollektiv ein Unfall auf der A 6, die ein paar Kilometer entfernt an N. vorbeiführt, ventiliert. André über die Verunglückten: »Der Schock is’ auch psychisch im Kopf! Psychisch im Kopf is’ der, verstehst? Im Kopf is’ der, psychisch!« Ergänzung: »Da griegst aan Batscher!« (Hochdeutsch: Dann haste einen am Waffeleisen.)
Respektive: »Den Steve hab’ i scho’ z’samm’g’schissen wechen sei’m Scheißchili. Zwei Tage Bauchschmerzen hab’ i g’habt. Den Scheiß fress’ i nemmer! Den Scheißchili! Den Steve hab’ i z’samm’g’schissen! Wechen sei’m Scheißchili! Den fress’ i nemmer! «
Ist’s eine landschaftlich bedingte Marotte? Weil man durch barocke rhetorische Amplifikationen die Kargheit der Gegend zu kompensieren sucht? Oder eine basale Intellektualstörung, eine soziopsycholinguale Deformation?
Seit ich meine Mutter über meine Verbalinspektionen unterrichtet habe, lauscht sie dem Programm des Bayerischen Rundfunks genauer. Und sie pflichtet mir bei. So faselten sie daher, die Mittelfranken.
Meine Cousine, diese Hochhübschheit, mit der ich kürzlich in der Nürnberger Tafelhalle war, da der Chaot Egersdörfer den Deutschen Kabarettpreis verliehen bekam, unterbreitete mir überdies, dass ihre Klienten mit seelischen Dellen jede stehende Redewendung verhunzen: »Friede, Freude, eierstrahlend«, »Das habe ich ad apter gelegt«, »Das macht mich ganz curry« und so fort.
Kann sein, dass die Franken kaum lachen. Humorbegabt sind sie trotzdem. Sie merken’s bloß nicht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans-Jürgen T. aus Chemnitz (10. Februar 2025 um 08:43 Uhr)Großes Dankeschön für solche Sprachperlen. Habe das mal aus Spaß in meinem muttersprachlichem Chemnitzer Sächsisch nachgesprochen. Einige Leipziger und Dresdener würden das wohl nicht als richtiges Sächsisch ansehen. Zwei Berge weiter von mir Richtung Erzgebirge klingt es auch wieder völlig anders, genauso in Thüringen, Hessen und und und. Es erinnerte mich aber auch an etwas Anderes. Hier lebende Ukrainer beschwerten sich schon mal über diese für sie schwierige Dialektvielfalt. Einer bestätigte aber, dass ein römischer Kaiser mal von Germanien als dem Volk der vielen Völker sprach. Böse wurden sie nur darüber, dass die russisch-ukrainischen Unterschiede mindestens zehnmal ins Deutsche passen würden. Fast ausgerastet ist einer auf die Erinnerung, dass die südliche Kiewer Rus jahrhundertelang unter Kolonialherrschaft stand, Litauer/Polen/Habsburger usw., und dabei Kultur und Sprache maßlos unter die Räder kamen. Von denen absichtlich verbogenes altes Ostslawisch wurde leider so zum Ukrainisch. Wer es später von klein auf als Muttersprache kennenlernt, reagiert dann halt so. Jürgen Roths heiteres Fränkisch ist für die zu Hause leider völlig undenkbar. Haben wir es da nicht richtig gut? Bitte mehr davon, bis hin zum Alemannischen. Hans-Jürgen Thiele
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (9. Februar 2025 um 21:57 Uhr)»Nürnberger Mogelaltstadt«? ZDF Mogelanstalt hedd i ja verschdandn. Odder Mögeldorf. Wos häddns denn machn solln, di Nembercher, woar ja lles zerbombd.
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