Präparierte Zigarren
Von Marc Hieronimus
Spirou und Fantasio sind im französischsprachigen Ausland so bekannt wie Asterix und Obelix und Tim und Struppi. Der Reporter mit dem weißen Terrier hat seit »Tim und die Picaros« von 1976 kein Abenteuer mehr erlebt. Kurz nach dem Tod des Autors und Zeichners Hergé im Jahre 1983 wurden mit »Tim und die Alpha-Kunst« noch Skizzen für eine weitere Geschichte veröffentlicht, dann erlosch die Serie für immer. Anders die Gallier: Nach dem unerwarteten Tod des großen Comicerzählers René Goscinny 1977 führte Albert Uderzo die Reihe immer langsamer und schlechter alleine weiter, bis er sie 2013 in die Hände eines neuen Künstlerduos gab.
»Spirou und Fantasio« erscheinen heute gleich in mehreren Reihen. Die reguläre umfasst bis jetzt 55 Bände, der »Marsupilami«-Ableger 34, »Der kleine Spirou« 19 usw. Eine Besonderheit ist die »Spirou-Spezial«-Serie. Anders als bei den quatschigen Abenteuern in Phantasieländern wie dem Königreich Bretzelburg (Bd. 16 der klassischen Reihe), in dem Pickelhauben, Strich-8er-Mercedes-Modelle und Überwachung eine Art zeit- und grenzenloses Deutschland suggerieren, sind die zwei Helden und ihre beiden tierischen Begleiter hier in realhistorische Ereignisse verwickelt. Der deutsche Zeichner Flix hat mal ein DDR-Abenteuer ersonnen (31) und an anderer Stelle die Herkunft des Marsupilami erklärt (»Das Humboldt-Tier«, 2022), andere Autoren haben das Team in den Zweiten Weltkrieg (8+9), zu den Sowjets (30) oder in den Wilden Westen (5) geschickt.
Die vierteilige Miniserie »Spirou oder die Hoffnung« (26, 28, 34, 36) behandelt den Widerstand gegen die Naziherrschaft. Eine leichte und witzige Geschichte vor einem solchen Hintergrund zu erzählen, ist ein heikles Unterfangen, zumal sich die »Spirou«-Reihe nicht nur an Erwachsene, sondern schon an Kinder ab acht Jahren richtet. Plumpe Gags langweilen die älteren Leserinnen, die jüngeren verstehen die historischen Anspielungen nicht, und Mord und Totschlag will überhaupt niemand sehen.
Die Autoren des neuen »Spirou-Spezial«-Bands 43 standen vor der kniffligen Aufgabe, der von der CIA orchestrierten exilkubanischen Invasion der Schweinebucht genug Komik für die klassischen 62 Seiten Albumlänge abzugewinnen. »Wie geht man mit einem solchen Ereignis um, in dessen Folge die ganze Welt am Abgrund zu einem dritten Weltkrieg stand, wenn man einen humoristischen Abenteuercomic gestalten will?« Insbesondere über Castro und Che Guevara hat der Szenarist Chistophe Lemoine lange mit den Kollegen Elric Dufau und Michaël Baril diskutiert, »denn sobald man die Fakten kennt, tun sich tiefe Gräben im Castro-Diskurs auf, und man erkennt die Brutalität des Regimes. Castro und Che allerdings stehen für eine Vision, und es sollte nicht unsere Aufgabe sein, ihre Legitimität anzuzweifeln, denn auch die Amerikaner auf der Gegenseite waren keine Vorbilder. Also konnten wir uns über alle ein wenig lustig machen.« Als Ehrerweisung an André Franquin, der die Comicserie wie kein anderer geprägt hat, greifen sie auf einige Details aus dessen Album »Gefangen im Tal des Buddha« zurück, das im Original kurz vor den historischen Ereignissen erschien.
Was ist nun der Plot? Spirou soll über Castros Rede in New York berichten. Der ist misstrauisch, denn die Amerikaner haben es auf ihn abgesehen, schicken ihm präparierte Zigarren, LSD-Spray und ein Mittel, das Haarausfall erzeugt. Nach einem Missverständnis wird der Reporter eines Attentatsversuchs bezichtigt und nach Kuba verschleppt. Fantasio reist mit seiner Kollegin Steffani, dem Eichhörnchen Fips, dem Marsupilami und einer Wundermaschine namens Gamma-Atom-Generator auf die Insel, um ihren Freund im Pagenkostüm aus dem Folter- und Hinrichtungsknast zu befreien. Nebenbei wird das Che-T-Shirt erfunden und die bekannte Invasion verhindert, zum Glück, denn die Amis wollen aus dem schönen Havanna ein weiteres Disneyland machen. Amerikanische Agenten tragen Sonnenbrillen, Kennedy und der Che sehen blendend aus. Das muss man nicht mögen, ist aber allemal besser, als wenn am Ende die Außerirdischen kommen wie bei Hergé und Uderzo.
Chistophe Lemoine, Elric Dufau, Michaël Baril: Spirou und Fantasio – Spezial. Band 43: Die Schweinebucht. Carlsen-Verlag, Hamburg 2024, 64 Seiten, 12 Euro
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