Entbehrlich im Weltall
Von Kai Köhler
Mickey stirbt, als man ihn probehalber der Strahlenbelastung im Weltall aussetzt. Als das Raumschiff dann den Planeten erreicht hat, auf dem der auf der Erde gescheiterte Politiker Kenneth Marshall eine Kolonie gründen will, muss Mickey als erster raus und stirbt sofort an einem tödlichen Virus. Nun muss ein Impfstoff her. Dessen erste Varianten funktionieren nicht sehr gut, und Mickey stirbt mehrfach als Versuchsperson. Endlich klappt die Sache. Mickey wird wieder hinausgeschickt, fällt in eine Höhle und sieht sich den grauenerregenden Viechern gegenüber, die den Planeten bewohnen …
Zum Glück ist er ein »Expendable«, ein »Entbehrlicher«. Alle biologischen Einzelheiten seines Körpers sind gescannt, und der gesamte Inhalt seines Gehirns wird wöchentlich neu abgespeichert. Geht ein Mickey verloren, kommt der nächste aus dem 3-D-Drucker, in diesem Fall Mickey 18 (Robert Pattinson). Freilich haben sich die Viecher als fürsorglich erwiesen, Mickey 17 (Robert Pattinson) nicht gefressen, und so entsteht die Situation, die nie entstehen durfte: Es leben zwei Mickeys gleichzeitig. Hier nun könnten allerlei psychologische und philosophische Fragen zu Identität und Differenz anschließen. Mickey 17 und Mickey 18 haben dafür keine Zeit, denn sie kämpfen um ihr Überleben.
Regisseur Bong Joon Ho hat Klassenverhältnisse immer wieder räumlich umgesetzt. In »Parasite« von 2019 stehen dafür die verschiedenen Etagen einer Villa. In »Snowpiercer« (2013) rast ein Zug durch eine postapokalyptische Eislandschaft, und die Elenden aus den hinteren Waggons kämpfen sich Meter für Meter nach vorne vor, wo geprasst wird. »Mickey 17« stellt mit dem Raumschiff wieder ein Fahrzeug in lebensfeindliche Umgebung. Auch leben Marshall (Marc Ruffalo) und seine vielleicht sogar noch bösartigere Ehefrau (Toni Collette) im Luxus, während bei Mickey elektronisch überwacht wird, wieviel er sich von dem elenden Mampf in der Kantine aufs Blechtablett nimmt und bei Überschreitung der vorgesehenen Kalorienzahl ein Warnsignal ertönt. Doch sind die Unterschiede deutlich. Die Reichen in »Snowpiercer« legten Wert auf Absonderung. Marshall dagegen ist das, was man heutzutage als »Populisten« bezeichnet. Er tritt vorm Pöbel auf, sein Dauergrinsen entstellt ihn so wie früher Trump die orange Hautfarbe. Er legitimiert sich religiös und versteckt so wenig wie Trump, dass es ihm nur um die Inszenierung geht. Und den kolonialistischen Vernichtungskrieg gegen die Bewohner des Planeten will Marshall als Medienereignis abfilmen lassen, mit sich selbst als Helden. Dass der Gegner gefährlich sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Reichtum erzeugt Hybris, die tobt sich gewaltförmig aus.
Das Was dieses Films ist interessant genug, wirksam wird es durch das Wie. Der Schauwert ist hoch. Da sind die zunächst furchterregenden Bewohner des neuen Planeten, Pelztierchen mit gigantischen Sandwurmmäulern. Und da ist das Raumschiff, das eine auf den ersten Blick verstörende Mischung aus ganz alt und ganz neu aufweist, aus vorzeitlicher Industrie und Computermoderne. Tatsächlich kennzeichnet dieses Nebeneinander von beinahe Archaischem und neuester Technologie die gegenwärtige Produktionsweise. Zudem gibt es quasimythische Elemente: eine Art Höllenschlund im Raumschiff, in dem organischer Abfall endet, um vielleicht der nächste Mickey zu werden. Und vor allem gibt es eine Vielzahl schwarzhumoriger Details. Die Wahrheit daran ist, dass jedes System mit der Schlampigkeit der Akteure rechnen müsste, die Wirkung ein befreiendes Lachen von allen, die Freude an bösen Witzen haben.
In Bong Joon-Hos Filmen geht es um Herrschaftsverhältnisse, aber auch um Solidarität und produktives Verhalten. Auch »Mickey 17« bietet eine Wissenschaftlerin auf, die ein Übersetzungsprogramm entwickelt, um mit den Bewohnern des Planeten zu kommunizieren. Auch spielt eine Elitekämpferin (Naomi Ackie) eine tragende Rolle, nicht nur als Geliebte der jeweils lebenden Mickeys, sondern für die Erkenntnis, dass auf diesem Planeten die Menschen die Aliens sind. Schaut man heute auf die Welt, besteht wenig Anlass zur Hoffnung darauf, dass derartige Stimmen sich durchsetzen. Realist ist Bong Joon Ho jedoch, was die Notwendigkeit solcher Kräfte betrifft.
»Mickey 17«, Regie: Bong Joon Ho, USA/Südkorea 2024, 137 Min., Berlinale Special Gala, Kinostart: 6.3.
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