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Aus: Ausgabe vom 10.02.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Nordirlandkonflikt

Kolonialmacht als Schlichter

Ein Buch über den Umgang des britischen Staates mit dem Nordirlandkonflikt
Von Dieter Reinisch
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Polizisten begleiten eine Demonstration für die inhaftierten IRA-Mitglieder im Hungerstreik (London, 7.12.1980)

Über die Frage, wie sich der »liberale Rechtsstaat« gegenüber inneren Bedrohungen durch Rebellen, Aufständische und Revolutionäre verhalten soll und wie repressiv er vorgehen kann, bis er seinen eigenen Rahmen sprengt, wird immer wieder diskutiert. In diesem Kontext ist auch das Feld der Terrorismusforschung ab Mitte der 1970er Jahre entstanden.

In dieser Tradition steht der deutsche Historiker Andreas Spreier. Er behandelt in seiner Doktorarbeit die Frage des Umgangs des britischen Staats mit der Gewalt in Nordirland in den 1970er Jahren. Die ihn dabei umtreibende Frage ist in erster Linie diese: Wie ging Großbritannien als konsolidierter und etablierter »demokratischer Rechtsstaat« mit dem gewaltförmigen Nordirlandkonflikt um?

Trotz akribischer Bearbeitung überzeugt die Darstellung aufgrund methodischer und politisch-analytischer Schwächen nicht. Das Hauptproblem ist, dass der britische Staat hier merkwürdigerweise als neutraler Schlichter angesehen wird. Das Verhältnis der britischen Kolonialmacht zu Irland bleibt unterbelichtet; strukturell erfolgt eine weitgehende Gleichsetzung von »republikanischen und loyalistischen Paramilitärs«. Dass erstere ein antistaatlicher Akteur sind, der für die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht kämpft, wogegen letztere eine reaktionäre Kraft auf der Seite des britischen Staats sind, wird »übersehen«.

Auch Bevölkerung und Gesellschaft werden eingeebnet, wenn Spreier von der »britischen Bevölkerung« und ihrem Verhältnis zum Rechtsstaat schreibt. Die größte Minderheit Nordirlands, die irisch-nationalistischen Katholiken, sahen sich jedoch mitnichten als Teil einer »britischen Bevölkerung« innerhalb eines britischen Staats.

Die methodischen Schwächen werden am deutlichsten bei der Auswahl der Quellen und der herangezogenen Sekundärliteratur. Sie ist merkwürdig stark auf deutsche Publikationen konzentriert, wichtige Werke aus der englischsprachigen Tradition fehlen, wogegen wissenschaftlich oft problematische Werke von unionistischen Apologeten, wie Paul Bew, James Dingley, Andrew Sanders und Simon Prince in den Fußnoten empfohlen werden. Viele dieser Texte sind politisch tendenziös. Da verwundert es nicht mehr, dass er den Kolonialnamen »Londonderry« benutzt, der so nur noch von rechten Loyalisten verwendet wird, und die wichtigste unionistische Tageszeitung Belfast Telegraph als »keinem der beiden Lager zugeschrieben« einordnet. Beim Versuch, eine neue Periodisierung der 1970er Jahre in Nordirland einzuführen, unterläuft Spreier ein auffälliger Fehler: Er argumentiert, dass die britische Politik Anfang der 1970er Jahre (Wegsperrung von Aktivisten) zur Schwächung der Strukturen diente und erst ab 1981 Konfliktlösungen gesucht wurden. Richtig ist vielmehr, dass es bis 1975 die intensivste Phase der Verhandlungen zur politischen Lösung zwischen London und der irisch-republikanischen Bewegung gegeben hatte und diese Versuche erst ab 1987 wieder aufgenommen wurden.

Andreas Spreier: Kriegsgefangene oder Kriminelle? Internierungslager, Gericht und Gefängnis im Nordirlandkonflikt 1968–1981. De Gruyter, Berlin 2024, 566 Seiten, 79,95 Euro

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