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Aus: Ausgabe vom 12.02.2025, Seite 7 / Ausland
Niederlande

Wilders droht mit Ende

Niederlande: Staatsrat gegen neues Asylgesetz. Regierung könnte an Abstimmung zerbrechen
Von Gerrit Hoekman
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Grenzkontrollen waren nur der erste Schritt der rechten Regierung in Den Haag (Eijsden, 9.12.2024)

Die niederländische Regierung wackelt mal wieder. »Ihr spielt mit dem Feuer!« twitterte Rechtsausleger Geert Wilders am Montag. »Meine Geduld ist fast zu Ende.« Die Warnung ging an den christlich-liberalen Koalitionspartner Nieuw Sociaal Contract (NSC) von Pieter Omtzigt. Wahlgewinner Wilders will seinem Anhang endlich, wie versprochen, das »strengste Asylgesetz« in der Geschichte des Landes präsentieren. Widerworte duldet er nicht mehr. »Sonst hat der Wähler das Wort«, drohte Wilders auf X unverhohlen mit dem Ende der Koalition.

Anlass ist die eindringliche Empfehlung des Staatsrats an die Ministerin für Asyl und Migration, Marjolein Faber, eine enge Parteifreundin von Wilders. Der Raad van State riet der Regierung am Montag, dem Parlament das Gesetz über Asylnotstandsmaßnahmen nicht in seiner jetzigen Form vorzulegen. Faber will zum Beispiel unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigungen für Asylsuchende abschaffen und den Aufenthalt von fünf auf drei Jahre verkürzen sowie den Familiennachzug stark einschränken. Außerdem sollen Geflüchtete wieder in zwei Klassen geteilt werden, so dass Menschen, die in der Heimat wegen ihrer Religion, politischen Meinung oder sexuellen Orientierung verfolgt werden, mehr Rechte erhalten als jene, die vor Krieg fliehen.

Es sei fraglich, ob Fabers Entwurf »tatsächlich zu einer Begrenzung des Zustroms oder einem effizienteren Asylverfahren« beitrage, so der Staatsrat auf seiner Internetseite. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass die Maßnahmen zu einer zusätzlichen Belastung des Einwanderungs- und Einbürgerungsamts und der Justiz führten. »Es ist schon jetzt klar, dass es in jedem Fall zu deutlich mehr Rechtsstreitigkeiten in Berufungsinstanzen und im Fall einer Niederlage auch zu Berufungen vor höheren Gerichten kommen wird«, so der Raad van State. Dass Fabers Gesetz rückwirkend auch für Menschen gelten soll, die sich bereits im Asylverfahren befinden, sei »rechtlich problematisch«, weil es dem »Grundsatz der Rechtssicherheit« widerspreche. Die Ministerin habe das Gesetz »nachlässig« vorbereitet. »Die Tatsache, dass ein politischer Wille besteht, dringend Schritte zur Verschärfung der nationalen Asylpolitik zu unternehmen, ist kein ausreichender Grund, Schritte bei der Ausarbeitung von Gesetzen zu überspringen oder sich dafür zu wenig Zeit zu nehmen.« Faber müsse auch diejenigen einbeziehen, die das Gesetz in der Praxis umsetzen müssten.

Der Raad van State ist ein wichtiger Baustein in der niederländischen Verfassung. Er besteht aus Mitgliedern der Königsfamilie und von der Krone berufenen Experten. Vorsitzender ist der Monarch, aktuell also Willem-Alexander. Jedes Gesetz muss zuerst dem Staatsrat zur Prüfung vorgelegt werden, bevor es vom Parlament verabschiedet werden darf. Es kommt eher selten vor, dass die Institution ein Gesetz so deutlich kritisiert wie das von Faber vorgelegte. In der Vergangenheit haben die jeweiligen Regierungen die Meinung des Raad van State ernst genommen und in Gesetzentwürfe einfließen lassen. Eine Verpflichtung dazu besteht allerdings nicht.

Sie werde »höchstens einen Punkt oder ein Komma« verändern, kündigte Asylministerin Faber bereits am Freitag an. Ihr Parteivorsitzender Wilders stärkt ihr den Rücken. Faber könne die Meinung der »nicht gewählten Bürokraten« im Raad van State ruhigen Gewissens beiseite schieben. Mit der Missachtung des Verfassungsorgans befindet sich Wilders Partij Voor de Vrijheid (PVV) allerdings auf Kollisionskurs mit dem Koalitionspartner NSC, der sich als Rechtsstaatspartei versteht und die Empfehlungen des Staatsrats durchaus ernst nimmt.

Die beiden Parteien waren bereits im Frühherbst aneinandergerasselt, als Faber das Asylnotstandsgesetz einfach am Parlament vorbei erlassen wollte. »Ich habe kein Rückgrat wie eine Banane«, tönte Wilders damals und drohte mit Neuwahlen. Er ließ sich dann aber doch auf das übliche legislative Prozedere ein. Seine Wähler jetzt erneut zu verprellen, kann sich der Ultrarechte eigentlich nicht leisten. Sollte der Gesetzentwurf ohne Änderungen im Parlament zur Abstimmung kommen und der NSC dagegen stimmen, wären der Preis diesmal vielleicht wirklich Neuwahlen.

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