Links & bündig: Jetzt bestellen!
Gegründet 1947 Mittwoch, 12. Februar 2025, Nr. 36
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Links & bündig: Jetzt bestellen! Links & bündig: Jetzt bestellen!
Links & bündig: Jetzt bestellen!
Aus: Ausgabe vom 12.02.2025, Seite 7 / Ausland
Westjordanland

Tulkarem unter Feuer

Seit zwei Wochen greift Israels Militär die Stadt im Westjordanland an. Hochschwangere auf der Flucht getötet
Von Jakob Reimann
Israel_Palestinians_85001039.jpg
Mit riesigen Baggern vollendet Israel die Zerstörungen durch die Armee (Tulkarem, 11.2.2025)

Seit nunmehr 16 Tagen greifen israelische Truppen die Stadt Tulkarem und die beiden umliegenden Geflüchtetenlager im Nordwesten des besetzten Westjordanlands an. Laut Bewohnern eskalieren israelische Soldaten insbesondere nachts die Gewalt, überfallen Häuser, feuern mit scharfer Munition und werfen Sprengsätze, hieß es am Dienstag von der Agentur WAFA. Dabei gab es mehrere zivile Todesopfer. Seit Oktober 2023 hat das israelische Militär in Tulkarem 219 Menschen getötet. Bei den jüngsten Angriffen zerstörten Bulldozer im Flüchtlingslager Nur Schams vorsätzlich weite Teile der Strom-, Wasser- und Kommunikationsnetze.

Auch geht die Belagerung mit der Vertreibung von Tausenden Palästinensern einher. »Wir stehen vor einer verheerenden Massenvertreibungskrise«, erklärte Abdullah Kmail, der Gouverneur von Tulkarem. Allein aus den beiden Geflüchtetencamps der Stadt seien rund 85 Prozent der Bevölkerung vertrieben worden, die nun in umliegenden Dörfern und Städten unterkommen müssten. Wohnhäuser werden von Truppen besetzt und als Militärstützpunkte sowie Posten für Scharfschützen missbraucht. Der Vorwurf, die Hamas nutze zivile Gebäude, dient Israels Armee seit über einem Jahr als Begründung, ganze Städte im Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen.

Bereits am frühen Sonntag morgen wurde in Nur Schams in Tulkarem die 23jährige Sondos Schalabi, im achten Monat schwanger, von israelischen Soldaten erschossen. Schalabi und ihr Ehemann Jasan Schula hatten versucht, vor den vorrückenden Truppen zu fliehen, als Soldaten das Feuer auf ihr Fahrzeug eröffneten. Die junge Frau wurde durch den Angriff getötet, ihr Ehemann schwer verletzt. Er befindet sich in kritischem Zustand im Krankenhaus. Unter Berufung auf die Armee berichtete allerdings Haaretz, dass auch er verstorben sei. Das ungeborene Kind wurde laut Al-Dschasira durch Unterlassung getötet, indem Soldaten die Ersthelfer zunächst daran hinderten, das verletzte Paar in ein Krankenhaus zu bringen. Auf Nachfrage von AFP erklärte die Armee, sie habe den Fall an die Militärpolizei zur Untersuchung übergeben. In der Vergangenheit haben derartige Scheinuntersuchungen die Soldaten stets umfänglich entlastet, oder sie verliefen im Sand.

Offiziell heißt es, die schwangere Schalabi sei nach dem Beschuss des Autos aus dem Wagen gestiegen, daraufhin wurde ihr dreimal in die Brust geschossen, da sie »verdächtig auf den Boden« geschaut habe. Ebenso wie die vielen jüngst getöteten Zivilisten sei auch die Tötung von Schalabi die Folge einer Ausweitung der Regeln für Schießbefehle auf Personen, die seit Beginn der Großoffensive gegen die Menschen im Westjordanland Ende Januar Anwendung findet, berichteten Whistleblower aus dem Militär gegenüber Haaretz. Das Central Command, das für Einsätze im Westjordanland zuständig ist, habe demnach beschlossen, die in 16 Monaten Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza eingesetzten militärischen Methoden nun auch im Westjordanland anzuwenden. Der kommandierende Generalmajor Avi Bluth habe angeordnet, dass Soldaten jeden, der »am Boden hantiert«, erschießen dürfen, wodurch verhindert werden soll, dass Personen Sprengsätze auf Straßen anbringen. Laut den Whistleblowern habe der erweiterte Befehl dazu geführt, dass die Soldaten wesentlich »schießfreudiger« geworden seien.

Ebenfalls am Sonntag wurde im Nur-Schams-Camp eine 21jährige durch eine Sprengladung getötet, die Soldaten an ihrer Haustür angebracht hatten. Zuvor waren die Bewohner aufgefordert worden, das Gebäude zu verlassen. Als die Frau nach einiger Zeit die Tür öffnete, löste sie damit die Sprengladung aus und wurde getötet. Im Anschluss missbrauchten israelische Soldaten wahllos einen Bewohner des Camps als menschlichen Schutzschild. Sie zwangen den Mann, zur Neutralisierung möglicher Sprengfallen durch mehrere Häuser zu gehen, in denen die Armee »Terroristen« vermutete. Der Vorwurf, die Hamas würde »menschliche Schutzschilde« nutzen, dient seit dem 7. Oktober 2023 als Vorwand, den Gazastreifen auszuradieren und Zehntausende Zivilisten zu töten.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • In Trümmern gelegt auch mit aus den USA gelieferten Bomben – für...
    07.02.2025

    Nakba geht weiter

    Nahostkonflikt: Weißes Haus und israelische Regierung mit neuen Umsiedlungsplänen für Palästina
  • Das ist nicht Gaza-Stadt, sondern die Stadt Dschenin im besetzte...
    05.02.2025

    Krieg wechselt Schauplatz

    Israelische Offensive in Westbank. US-Präsident aufgeschlossen für ultrarechte Annexionspläne