Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 14.02.2025, Seite 8 / Ansichten

Verbündete schikanieren

Ukraine-Krieg: USA ändern Gangart
Von Jörg Kronauer
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Jetzt hat man es schwarz auf weiß: Über das Ende des Ukrai­ne-Kriegs entscheiden weder die ukrainische Regierung noch die Regierungen der alten Mächte im westlichen Teil Europas …

Jetzt hat man es schwarz auf weiß: Über das Ende des Ukrai­ne-Kriegs entscheiden weder die ukrainische Regierung noch die Regierungen der alten Mächte im westlichen Teil Europas. Die Einstellung der Kämpfe vereinbaren Russland und die USA. Klar war stets, dass die Ukraine materiell wie auch operativ von der Unterstützung der Vereinigten Staaten abhängig war, dass also ein simples und trockenes »no« aus Washington ihren Streitkräften binnen kürzester Zeit den Stecker gezogen hätte. Dennoch legte die Biden-Regierung bis zuletzt Wert darauf, den Anschein zu wahren, es hänge alles von Kiew und, aber natürlich, auch von den allerbesten Verbündeten in Europa ab. Mit dem gewohnten Anschein hat Donald Trump nun Schluss gemacht: Er und Wladimir Putin werden über das Kriegsende verhandeln. Ob Wolodimir Selenskij und einige – so ihr PR-Jargon – »Europäer« vom Katzentisch aus zuhören dürfen, ist noch nicht ausgemacht.

Warum dieser Bruch mit den bisherigen Gewohnheiten, die Biden noch aufrechterhielt? Wer ihn allein Trumps Charakter, seinem individuellen Herrschaftsstil zuschreibt, greift erheblich zu kurz. Bislang litten unter der US-Hegemonie deren erklärte Gegner von Kuba über Syrien bis zu Russland und China. Für die Verbündeten hingegen, darauf achtete man in Washington stets, fiel immer etwas ab, und zwar nicht bloß Brosamen. Der Bundesrepublik ermöglichte die US-Hegemonie einen rasanten Aufstieg aus den Nachkriegstrümmern zu einer der führenden Wirtschaftsmächte weltweit. Trump vollzieht nun den Schwenk von der Hegemonie hin zur blanken, nicht mehr täuschend verkleideten Dominanz. Wer bestimmt? Die USA. Wer führt wichtige Verhandlungen? Der US-Präsident. Wer kann bleiben, wo die Kartoffel wächst? Kein Wunder, dass Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstag die beleidigte Leberwurst gab.

Der Grund für den Schwenk von der – für die Verbündeten – generösen US-Hegemonie hin zur – für alle Welt – kostspieligen US-Dominanz liegt auf der Hand. Der Machtkampf gegen den großen Rivalen China spitzt sich in einer Zeit zu, in der das relative ökonomische Gewicht der Vereinigten Staaten in der Welt sinkt. Die wirtschaftliche sowie die militärische Aufrüstung gegen Beijing, die Washington mit aller Kraft vorantreibt, kosten, bei knapperen Kassen, mehr denn je; sie lassen eine gewisse Großzügigkeit sowie den Anschein von Mitbestimmung nicht mehr zu. Die Frage stellt sich freilich: Wird es den USA gelingen, Verbündete zu schikanieren und sie zugleich bei der Stange zu halten? Unter Trump starten die USA die Probe aufs Exempel.

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  • Leserbrief von Dirk Vogelsang aus Lilienthal (17. Februar 2025 um 14:36 Uhr)
    Der aus dem Frühmittelalter stammende Begriff „Vasall“ (lateinisch vassus „Knecht“) erlebt derzeit eine Renaissance, auch in der jW (Jörg Kronauer am 8.2.: Vasallen machen, Vasallenstaaten/Reinhard Lauterbauch am 13.2.: Vasallenschar, US-Vasallen). Wie richtig beide mit dieser Charakterisierung liegen, zeigte schon 1997 der Urvater aller US-Politikberater, als er verriet, wie die „drei großen Imperative imperialer Geostrategie“ lauten: „Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, dass die „Barbarenvölker“ sich nicht zusammenschließen.“ (Zbigniew Brzezinzki, The Grand Chessboard – American Primary and its Geostrategic Imperatives). Im deutschen Titel (Die Einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft und der Kampf um Eurasien) findet sich am Ende bereits der Schlüsselbegriff, der den Autor zum Thema Ukraine umtreibt: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Transformation Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ Für diese, im Kern bereits 1997 getroffene Einschätzung wurde Brzezinzki von seinen Claqueuren nach 2016 (2. Auflage) auf den Sockel des westlichen Strategen und geopolitischen Propheten schlechthin gestellt. An dem bemerkenswerten Umstand, dass nach der Lehre des großen Meisters ein Land offenbar sowohl „unabhängiger Staat“ (gegenüber der Russischen Föderation) als auch „Vasall“ (im Verhältnis zu USA und EU) zugleich sein kann, stören seine Schüler sich nicht. Und erst recht nicht an dem, was er im 2016er Nachwort, sich selbst zitierend, nochmal festhält: „Die Konzentration hegemonialer Macht in den Händen eines einzigen Staates wird, auf Dauer gesehen, immer weniger in die weltpolitische Landschaft passen.“ Brzezinzkis finaler Ratschlag an die eigene Klasse lautet daher, sich nicht damit „zufrieden (zu geben), unilaterale Kriege zu führen“, sondern wegen der „flüchtige(n) Natur ihrer einzigartigen Vorherrschaft“ eine „multipolare Weltordnung“ (!) anzustreben, um auf diese Weise ihren „strategischen Auftrag“ als globale Supermacht „nach wie vor“ erfüllen zu können. Welch gefährlichen Spagat diese Art imperialistischer Arbeitsteilung für die US-Dominanz der Trump´schen MAGA-Art bedeuten kann, hat Jörg Kronauer jüngst in der jW vom 14.02. angedeutet. Auf der eigenen Seite sollten wir die oft verwendete Reduktion „Unilaterale/-polare versus multilaterale/-polare Weltordnung“ kritisch hinterfragen – denn letztere gibt es in gänzlich anderer Art auch als Baustein des Versuchs, imperialistische Hegemonie unter geänderten Vorzeichen fortzusetzen.

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