Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 15.02.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Ausbeuten mit Gewaltmitteln

Clara Zetkin 1923: Die Bourgeoisie kann ihre Herrschaft nicht mehr mit regulären Mitteln des Staates sichern und bedient sich des Faschismus
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»Tausendköpfige Massen«: Parade junger italienischer Faschisten am 1. August 1933 in Berlin

Tausendköpfige Massen strömten dem Faschismus zu. Er wurde ein Asyl für politisch Obdachlose, für sozial Entwurzelte, für Existenzlose und Enttäuschte. Und was sie alle nicht erhofften von der revolutionären Klasse des Proletariats und vom Sozialismus, das erhoffen sie als Werk der tüchtigsten, stärksten, entschlossensten, kühnsten Elemente aller Klassen, die zu einer Gemeinschaft zusammengefasst werden müssen. Diese Gemeinschaft ist für die Faschisten die Nation. Sie wähnen, dass der ernste Wille, sozial ein Neues, Besseres zu schaffen, machtvoll genug sei, alle Klassengegensätze zu überbrücken. (…)

Es liegt auf der Hand, dass nach der sozialen Zusammensetzung seiner Truppen der Faschismus auch Elemente einschließt, die der bürgerlichen Gesellschaft außerordentlich unbequem, ja gefährlich werden können. Ich gehe weiter, ich behaupte, die der bürgerlichen Gesellschaft gefährlich werden müssen, wenn sie ihr ureigenes Interesse verstehen. In der Tat! Ist dies der Fall, so müssen sie das ihrige dazu beitragen, dass die bürgerliche Gesellschaft so bald als möglich zerschmettert und der Kommunismus verwirklicht wird. Aber die Tatsachen haben trotzdem bis jetzt bewiesen, dass die revolutionären Elemente im Faschismus von den reaktionären Elementen überflügelt und gefesselt worden sind. Es wiederholt sich eine analoge Erscheinung zu anderen Revolutionen. Die kleinbürgerlichen und mittleren Schichten der Gesellschaft schwanken zuerst zwischen den gewaltigen historischen Heerlagern des Proletariats und der Bourgeoisie unschlüssig hin und her. Die Nöte ihres Lebens, zum Teil auch die beste Sehnsucht, die höchsten Ideale ihrer Seele lassen sie mit dem Proletariat sympathisieren, solange dieses nicht nur revolutionär vorgeht, sondern Aussichten auf den Sieg zu haben scheint. Gezwungen von den Massen und ihren Bedürfnissen, müssen unter dem Einfluss dieser Situation sogar die faschistischen Führer mit dem revolutionären Proletariat wenigstens kokettieren – wenn sie auch innerlich nicht mit ihm sympathisieren. Aber sobald sich zeigt, dass das Proletariat selbst darauf verzichtet, die Revolution weiterzuführen, dass es unter dem Einfluss der reformistischen Führer revolutionsscheu und kapitalistenfromm vom Kampfplatz zurücktritt, haben sich die breiten Massen der Faschisten dahin geschlagen, wo die meisten ihrer Führer von Anfang an – bewusst oder unbewusst – standen: auf die Seite der Bourgeoisie.

Die Bourgeoisie begrüßt selbstverständlich die neuen Bundesgenossen mit Freude. Sie erblickt in ihnen einen starken Machtzuwachs, einen in ihrem Dienste zu allem entschlossenen Gewalthaufen. Die herrschgewohnte Bourgeoisie ist leider in der Beurteilung der Lage und in der Verfechtung ihrer Klasseninteressen bei weitem klüger und erfahrener als das jochgewohnte Proletariat. Sie hat von Anfang an die Situation sehr klar erfasst und damit den Vorteil, den sie aus dem Faschismus zu ziehen vermag. Was will die Bourgeoisie? Sie erstrebt den Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft, das heißt die Erhaltung ihrer Klassenherrschaft. Unter den gegebenen Umständen hat die Verwirklichung ihres Zieles eine erhebliche Steigerung und Verschärfung der Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats zur Voraussetzung. Die Bourgeoisie weiß sehr wohl, dass sie allein nicht über die Machtmittel verfügt, um den Ausgebeuteten solches Los aufzuzwingen. Mit den Skorpionen des hereinbrechenden Elends gezüchtigt, fangen zuletzt auch die dickfelligsten Proletarier an, gegen den Kapitalismus zu rebellieren. Die Bourgeoisie muss sich sagen, dass unter diesen Verhältnissen auf die Dauer auch die milde, burgfriedliche Predigt der Reformsozialisten ihre einschläfernde Wirkung auf das Proletariat verlieren wird. Sie rechnet damit, dass sie das Proletariat nur noch mit Hilfe von Gewaltmitteln unterwerfen und ausbeuten kann. Aber die Machtmittel des bürgerlichen Staates beginnen teilweise zu versagen. Er büßt immer mehr die Finanzkraft und die moralische Autorität ein, seine spezifischen Sklaven in blinder Treue und Unterwürfigkeit zu binden. Die Bourgeoisie kann die Sicherheit ihrer Klassenherrschaft nicht mehr von den regulären Machtmitteln ihres Staates allein erwarten. Sie braucht dafür eine außerlegale, außerstaatliche Machtorganisation. Eine solche wird ihr gestellt durch den bunt zusammengewürfelten Gewalthaufen des Faschismus. Deshalb nimmt die Bourgeoisie nicht nur mit Kusshand die Dienste des Faschismus an und gewährt ihm weiteste Bewegungsfreiheit im Gegensatz zu all ihren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen. Sie geht weiter, sie nährt und erhält ihn und fördert seine Entwicklung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln des Geldschranks und der politischen Macht.

Clara Zetkin: Der Kampf gegen den Faschismus. Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (20. Juni 1923). In: Protokoll der Konferenz der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau, 12. bis 23. Juni 1923. Hamburg 1923
Hier zitiert nach: Clara Zetkin: Ausgewählte Reden und Schriften, Band II. Dietz-Verlag, Berlin 1960, S. 694–696

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