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Aus: Ausgabe vom 20.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Berlinale

Ein Mann von 80 Jahren

Berlinale. Leidige Wohnungsfrage: »Restitucija ili San i java stare garde« von Želimir Žilnik im Forum
Von Manfred Hermes
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Seltenes Beispiel einer lustigen und frischen Melancholie

Den Goldenen Bären hat Želimir Žilnik 1969 für »Rani radovi« (Frühe Werke) bekommen. Jetzt zeigt der nunmehr 56 Jahre ältere Filmemacher einen dokufiktionalen Film über das Alter, das Musikmachen und die Rückübertragung einer Immobilie, daher der Titel »Restitucija ili San i java stare garde«, was sich ungefähr mit »Restitution oder Der Traum und das Aufwachen der alten Garde« übersetzen lässt.

Stevan (Milan Kovačević) sucht in einem Wiener Schallplattenladen nach der ersten LP seiner Band »The Montenegro Five« aus den 60ern, um sie den Enkeln nach Serbien mitzubringen. Das Glück des betagten Mannes wird perfekt, als der Besitzer sogar noch seine allererste Single findet.

Jeder Restitution geht eine Wegnahme voraus und enthält damit eine geschichtliche Dimension. Das Gehöft von Stevans Eltern liegt in der Nähe der serbischen Westgrenze, die lange entlang der Donau verlief. Die Flussbegradigungen des 19. Jahrhunderts verschoben dann die Ansprüche und führten zu Grenzkonflikten. Nach dem Zweiten Weltkrieg Kroatien zugeschlagen, wurden einige Gebiete im Zuge der EU-Erweiterung dem serbischen Staatsgebiet zugeordnet. So kam Stevan an sein Erbe und fährt jetzt übers Land zum Herrenhaus seiner Kindheit. Das Gebäude ist luxuriös dimensioniert und muss einmal sehr prächtig gewesen sein, jetzt ist es aber nur noch ein Schatten seiner selbst, wenn auch nicht unrettbar, denn »damals hat man für Generationen gebaut«. Heute würde eine Sanierung auch in Serbien Unsummen kosten, es gibt nicht mal Wasser und Strom.

»Musik« stand am Ausgangspunkt dieses Films, jetzt schiebt sich »Immobilie« als zweiter Schwerpunkt hinein. Zunächst ist das der Träger von Erinnerungen und alten Geschichten: Habsburg und der Feudalismus, Ackerbau und Pferdezucht, großbürgerliche Herrschaft, die Kollektivierung und die Transformationsprozesse in Osteuropa, Jugoslawien und die Sezessionskriege, NATO und Nazis, auch die zunehmende Migration aus nichteuropäischen Ländern.

Und dann ist da noch die Tochter des Wiener Gebrauchtschallplattenhändlers, die für eine Dissertation über die Arbeitsbedingungen von Frauen im Sozialismus in die Gegend gereist ist, um Zeitzeugen zu befragen. So kommen dann auch andere alte Leute vor, deren Biographien geschichtlich wirksame Aspekte des 20. Jahrhunderts aus einer alternativen Perspektive verklammern.

Stevan tapst unterdessen in seiner alten Heimat herum, begegnet neuen Leuten, erneuert Verbindungen zur Familie, trifft frühere Freunde oder Frauen, die er vor Jahrzehnten attraktiv fand. So blättert sich das Leben eines über 80jährigen Mannes auf, der eine lange Zeit als Unterhaltungsjazzer im westlichen Ausland gelebt hat. Viele haben ihn dafür bewundert, es schlägt ihm allerdings auch noch Neid entgegen.

Seit den 60er Jahren dreht Žilnik dokufiktionale Mischformen. Schon mit »Radi ranovi« (1969) hat er die Aufmerksamkeit auf die Graubereiche politischer Ideologien gelenkt. Wie kaum ein anderer Filmemacher hat er immer auch die territorialen Aspekte geschichtlicher Formationen oder die bürokratische Seite staatlicher Apparate im Auge gehabt. In »Tvrđava Evropa« (Festung Europa; 2000) ging es zum Beispiel um die Grenzregimes am Rande der EU, Žilnik hatte dafür auch in einem »Ausweisungslager« gedreht.

Geschickt hat er so immer ganz große Brocken geschichtlicher und politischer Realitäten herumgeschoben und mit einer speziell osteuropäischen Erfahrung verbunden. Dabei ist es Žilnik gelungen, die Grenzbereiche zwischen Tatsache und Erfindung, Zufall und Planung besonders fluffig und flirrend zu gestalten. So war Kovačević, der greise Hauptdarsteller, wirklich das Mitglied einer Band namens »The Montenegro Five«.

Und schon in »Crni film« (Der schwarze Film; 1971) hatte sich Žilnik der Wohnungsfrage zugewandt bzw. der Obdachlosigkeit im sozialistischen Novi Sad. Die Wohnungsfrage ist auch im heutigen Serbien noch drückend, und hier wie anderswo sind die Mieten unbezahlbar, Wohnungen schwer zu bekommen, Immobilienerwerb für viele utopisch. So kommt hier auch wieder die liebe Verwandtschaft ins Spiel, deren niedere Instinkte von alldem verstärkt werden. Weil die Bagage mit allen Mitteln an die Riesenimmobilie herankommen will, muss Stevan seine Entmündigung abwehren.

Aber was für Zukunftspläne kann ein 80jähriger schon haben, wo doch eher der Tod die Grenze für Vorhaben und Ambitionen setzen sollte? Nun, Stevan wägt zwischen Eigentum und Vermögenswert, Besitz und Nutzbarmachung ab. Die Zukunft des Anwesens könnte ein Viergenerationenhaus oder eine Sommerakademie für Musiker sein, vielleicht auch beides. Auch sonst bietet der Film optimistische Ausblicke und ist ohnehin das seltene Beispiel einer lustigen und frischen Melancholie. Große Preise wird »Restitucija« trotzdem nicht gewinnen, weil er »nur« im Forum gelaufen ist.

»Restitucija ili San i java stare garde«, Regie: Želimir Žilnik, Serbien/Slowenien 2025, 118 Min., Forum

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