Gutgemeint ist auch daneben
Von Erich Hackl
Darf man sich über ein Werk beschweren, das von der Entrechtung und Deportation einer vierköpfigen jüdischen Familie unter der Naziherrschaft handelt? Eigentlich sollten einen allein schon Stoff und Thema für dieses Buch einnehmen, ferner die Mühe, die Shoshana Duizend-Jensen, die als Historikerin, Archivarin und Ausstellungskuratorin ausgewiesene Autorin, darauf verwendet hat, die Verfolgungsgeschichte des aus Mährisch-Ostrau stammenden Ehepaars Erich und Dora Salomonowitz und seiner Söhne Michail und Josef – Mischa und Pepek – zu rekonstruieren, die im Ghetto Litzmannstadt (d. i. Łódź) sowie in fünf Konzentrations- und Vernichtungslagern um ihr Überleben gekämpft haben.
Duizend-Jensen steht der Sinn eindeutig nicht nach Sensationen, sondern nach Erkenntnisgewinn, außerdem ist sie mit dem letzten Überlebenden der Familie, dem am 1. Juli 1938 geborenen Pepek Salomonowitz (heute: Salomonovic), nicht nur verschwägert, sondern seit langem eng befreundet. Allerdings kollidieren diese günstigen Voraussetzungen mit dem Unvermögen der Autorin, die Fülle des Materials in eine stringente, leserfreundliche Form zu bringen und schreibend sowohl den eigenen als auch den Empfindungen und Erfahrungen ihrer Protagonisten gerecht zu werden. Das macht die Lektüre zu einer langwierigen, oft auch langweiligen Angelegenheit. Immerhin ist das Buch mit Fotos, Briefen und anderen Dokumenten aus Familienbesitz, die auf dem schweren glatten Papier gut zur Geltung kommen, reich illustriert. So lassen die Abbildungen etwas von dem erahnen, was einem der Text vorenthält.
Im Impressum pocht der Verlag darauf, sich »alle Rechte vorbehalten« zu haben; wünschenswert wäre gewesen, dass er sich auch die Pflicht vorbehalten hätte, das Typoskript vor Drucklegung auf Mängel und Fehler zu prüfen. Das ist offensichtlich unterblieben – eine andere Erklärung finde ich nicht für die vielen Beistrich- und Grammatikfehler, zu denen sich Stilblüten gesellen, die durch ihre unfreiwillige Komik den tragischen Gehalt des Buches konterkarieren. »Ihr Fortbewegungsmittel waren die Füße, begleitet von deutschem Wachpersonal und einem Motorradfahrer« heißt es an einer Stelle, und an einer andern: »Was bei Pepek so besonders ist, ist sein unaussprechlicher bitterer Humor!« Den beschwichtigenden Einwand gegen solche Kritik, in erster Linie sei bei einem zeitgeschichtlichen Werk doch der Inhalt entscheidend, lasse ich nicht gelten. Der Grad der Hinwendung zu den Heldinnen oder Helden einer Geschichte erweist sich an der sprachlichen Sorgfalt, die man beim Schreiben über sie an den Tag legt. Historisches Wissen und gute Absicht allein reichen nicht aus.
Dem Impressum ist auch zu entnehmen, dass Duizend-Jensens Buch »mit freundlicher Unterstützung« der Kulturabteilung der Stadt Wien, und zwar des Literaturreferats, gedruckt worden ist. Das ist insofern kurios, als es mit Literatur wirklich nichts zu tun hat, entspricht aber dem in Österreich verbreiteten Selbstverständnis sogenannter Privatverlage, nur das zu veröffentlichen, was von öffentlicher Hand gefördert wird.
Shoshana Duizend-Jensen: Pepek. Ein Kind überlebt den Holocaust. Löcker-Verlag, Wien 2024, 336 Seiten, 29,80 Euro
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