Arm von Anfang an
Von Gudrun Giese
Nahezu jedes zehnte Kind bekommt meistens kein gesundes Essen, weil die Eltern nicht genug Geld haben. Dieses Ergebnis hatte eine repräsentative Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von »Save the Children«. Zwischen dem 11. Dezember 2024 und dem 10. Januar hatte Forsa 1.005 Eltern von minderjährigen Kindern in der Bundesrepublik zu den Lebensbedingungen ihres Nachwuchses befragt. Neun Prozent der Mütter und Väter erklärten, dass sie »sehr häufig oder eher häufig« keine gesunden Lebensmittel kaufen könnten, bei 19 Prozent war das »selten« der Fall und bei 71 Prozent »nie«.
Es sei überfällig, politisch die Kinderarmut zu bekämpfen, sagte Eric Großhaus von »Save the Children«. In »einem der reichsten Länder der Welt sollten sich Eltern nicht fragen müssen, ob das gesunde Essen zu teuer ist«. Die künftige Bundesregierung solle das Thema endlich angehen, damit sich alle Familien eine ausgewogene Ernährung leisten könnten. In der Forsa-Befragung hatten 88 Prozent der Teilnehmer der Aussage zugestimmt, dass Kinderarmut ein drängendes Problem sei. Nach Angaben von »Save the Children« ist in der Bundesrepublik jedes fünfte Kind betroffen.
Auch das Deutsche Kinderhilfswerk mahnte anlässlich des Welttages der sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar Bund, Länder und Kommunen, Kinderarmut ernsthaft zu bekämpfen. Nachdem die gescheiterte Ampelkoalition ihr Projekt einer Kindergrundsicherung wegen Meinungsdifferenzen nicht verabschiedet hätte, sei die nächste Bundesregierung in der Pflicht. »Kein Kind zurücklassen bedeutet in diesem Zusammenhang, allen Kindern ein gutes und gesundes Aufwachsen sowie gleichwertige Lebensverhältnisse unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer sozialen Herkunft zu ermöglichen«, betonte die Organisation in einer Mitteilung. Dafür müsse es eine eigenständige finanzielle Unterstützung von Kindern und Jugendlichen geben sowie einen chancengleichen Zugang zu Bildung und Freizeitangeboten für alle.
Tatsächlich sind aber Kinder und Jugendliche aus ärmeren Haushalten an erster Stelle betroffen, wenn die Politik den Rotstift ansetzt, wie sich in diesen Tagen bei der Umsetzung des drei Milliarden Euro umfassenden »Sparpakets« des Berliner Senats zeigt. Der Bildungsbereich ist massiv von Streichungen betroffen. Die öffentlichen Bibliotheken müssen ihre Öffnungszeiten reduzieren oder sogar komplette Standorte aufgeben. In Schulen und Hochschulen werden Stellen gestrichen, und auch für Musik- und Volkshochschulen sind die Aussichten düster. Das alles trifft vor allem die Teile der Bevölkerung, die über geringe Einkommen verfügen und ihre Kinder nicht zum privaten Gesangsunterricht oder in die Ballettschule schicken können.
Immerhin haben Kinder und Jugendliche nach der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen klar definierte Rechte, nämlich »auf ein gutes Aufwachsen, bestmögliche Entwicklungschancen und soziale Sicherheit«, wie es in den Artikeln 26 und 27 fixiert ist. Demgegenüber sei das Leben armutsbetroffener Kinder von Anfang an »durch finanzielle Engpässe, schlechtere Wohnverhältnisse, ungesündere Ernährung und Verzicht« charakterisiert, so der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann. Wer arm sei, könne sein Potential nicht ausschöpfen, was dramatische Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt hätte. »Zugleich sehen wir mit großer Sorge, dass die Mittel für die präventive Kinder- und Jugendhilfe immer weiter gekürzt werden und Kürzungen im sozialen Bereich oben auf der politischen Agenda stehen«, so Hofmann.
Er appellierte an die künftige Bundesregierung, diese Entwicklung zu stoppen. Nötig seien »endlich konsequente, tragfähige Lösungen als Hilfe für die betroffenen Kinder«. Konkret fordert er Erhöhungen von Kinderzuschlag und Leistungen der Grundsicherung auf einer neuen Berechnungsbasis. Dabei solle das kindliche Existenzminimum sich künftig an der Mitte statt am unteren Fünftel der Gesellschaft orientieren. Auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe müssten dringend erhöht werden. Es ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, dass eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung sich diesen Appell zu Herzen nimmt.
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