Rausschmiss aus Wohnung
Von Oliver Rast
Kein Dach über dem Kopf, keine eigenen vier Wände – kurz: wohnungslos. Etwa infolge von Räumungsklage samt Zwangsräumung. In der Hansestadt Hamburg passiert das täglich, im vergangenen Jahr insgesamt 1.201mal. Jede fünfte Räumung geht dabei auf das Konto des städtischen Wohnungsunternehmens SAGA, steht in der jüngst veröffentlichten Antwort des Hamburger Senats auf eine schriftliche kleine Anfrage der Bürgerschaftsfraktion von Die Linke hervor, die jW vorliegt. Zum Vergleich: 2023 hatten 1.002 Haushalte zwangsweise ihren Wohnraum verloren, davon 214 bei der SAGA. Das heißt, ein Anstieg der Zwangsräumungen von 20 Prozent binnen eines Jahres.
Olga Fritzsche (Die Linke) ist fassungslos. Zumal eine amtsgerichtlich angeordnete Räumung »häufig der Beginn einer jahrelangen Obdachlosigkeit ist«, sagte die sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion am Donnerstag jW. Ohne Bleibe zu sein, »bedeutet keinen festen Platz zum Schlafen zu haben, bedeutet, mit Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung konfrontiert zu werden«, ergänzte Arnd Liesendahl von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) am Donnerstag gegenüber jW. Und: Auf Wohnraumverlust folgt oft Verlust sozialer Teilhabe.
Hinzu kommt: Mittlerweile stünden mehr als 1.800 Haushalte in der Hansestadt auf Wartelisten der bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle »und warten auf einen Platz in öffentlichen Unterkünften«, weiß Fritzsche. Der Senat müsse endlich in die Pötte kommen, die Fachstellen personell und finanziell besser ausstatten. Das findet auch Sabine Bösing. Prävention müsse »ein zentraler Schwerpunkt sein«, bemerkte die Geschäftsführerin der BAGW auf jW-Nachfrage. Ferner die flächendeckende Ausweitung der Fachstellen. Und nicht zuletzt brauche es einen stärkeren Mieterschutz, »etwa durch die Wirksamkeit der Schonfristzahlung auch bei einer ordentlichen Kündigung«.
Was sagen die Zwangräumer von der SAGA? Die Durchführung einer Räumung sei immer das letztmögliche Mittel, versicherte deren Pressesprecher Gunnar Gläser am Donnerstag gegenüber jW. Der Einleitung eines Räumungsverfahrens voraus gingen in der Regel mehrere schriftliche Aufforderungen sowie Abmahnungen und persönliche Gespräche über einen längeren Zeitraum. Beispielsweise wegen Mietschulden. Grundsätzlich unternehme die SAGA »große Anstrengungen, um ihre Mieter zu halten«. Eine Räumung finde demnach nur statt, wenn vorausgegangene Schritte der SAGA nicht zur Änderung im Verhalten der Mieter führten.
Fritzsche reicht das nicht. Der Senat, speziell die Sozialbehörde der Hansestadt müsse stärker ihren Einfluss geltend machen, vor allem bei der SAGA. In den meisten Fällen könnten die Fachstellen eine Zwangsräumung verhindern, sagte Behördensprecher Wolfgang Arnold jW. Wie? »Durch Übernahme der Mietrückstände.« Bei »verhaltensbedingten Räumungsgründen« sei eine Wohnungssicherung nur in den seltensten Fällen möglich. Zwangsgeräumte Haushalte würden über die Fachstellen in öffentlich-rechtlichen Behausungen untergebracht.
Und was ist nun mit der SAGA? Es gebe einen Kooperationsvertrag zwischen dem städtischen Wohnungsunternehmen und den Fachstellen zwecks Informationsaustausch samt Verfahrensschritten, so Arnold schlicht. Was Zwangsräumungen offenkundig nicht verhindert. Selbst eine zeitnahe Zurverfügungstellung eines Ersatzwohnraums ist für Betroffene nicht garantiert. Wegen des Angebotsmangels, hatte im Oktober 2024 das Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kuntz berichtet. Für in Wohnungsnot Geratene existierten 5.000 Wohneinheiten weniger als vor vier Jahren.
Beklagt auch Rolf Bosse, Geschäftsführer des Hamburger Mietervereins. »Jede Zwangsräumung ist eine zu viel«, betonte er im jW-Gespräch. Jeder Mensch verdiene eine Wohnperspektive. Also ein Dach über dem Kopf, vier Wände hinter der eigenen Wohnungstür.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Monika Skolimowska/dpa20.10.2022
»Sprachkitas« vor dem Aus
- Chris Emil Janßen/imago images16.12.2021
Hochgelobtes Modell
- Frank Rumpenhorst/dpa04.04.2019
»Hamburg kann sich nicht mehr hinter Bund verstecken«
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Streikwelle
vom 21.02.2025 -
Migration im Mittelpunkt
vom 21.02.2025 -
Die Konsequenz bleibt Widerstand
vom 21.02.2025 -
Arm von Anfang an
vom 21.02.2025 -
»Es könnte dem Bund und anderen als Blaupause dienen«
vom 21.02.2025