»Es könnte dem Bund und anderen als Blaupause dienen«
Interview: Gitta Düperthal
Beim Verfassungsgerichtshof Bayern haben 17 Verbände und 185 Einzelpersonen Popularklage gegen das bayerische Bundeswehr-Fördergesetz eingereicht. Sie beklagen die Militarisierung des Bildungs- und Forschungsbereichs. Worum geht es dabei?
»Zeitenwende« und »Kriegstüchtigkeit« erfassen zivile Bereiche. Es wirkt mitunter wie ein Kampf um die Köpfe der Bevölkerung, die sich noch überwiegend skeptisch bis abweisend zeigt. Mit dem Bundeswehr-Fördergesetz von 2024 gerät der Bildungssektor in den Fokus des staatlichen und gesellschaftlichen Militarisierungstrends. Bayerische Schulen, Hochschulen, Unis und Forschungseinrichtungen werden damit per Gesetz angehalten, teils verpflichtet, enger mit der Bundeswehr zu kooperieren und sich militärischen Belangen zu öffnen.
Das Gesetz ist seit etwa einem halben Jahr in Kraft. Welche Auswirkungen kündigen sich an?
Schulen sollen »im Rahmen politischer Bildung« enger mit »Jugendoffizieren« zusammenarbeiten und zur »beruflichen Orientierung« mit Karriereberatern der Bundeswehr. Das bedeutet gesetzlich verordnete einseitige mentale Beeinflussung. Etwa mit dem Effekt, noch mehr Minderjährige für den Militärdienst anzuwerben als ohnehin schon. Bei der Forschung an Unis ist die Beschränkung auf rein zivile Nutzung, wie sie sogenannte Zivilklauseln regeln, nun gesetzlich verboten: In Bayern muss Forschung auch für militärische Zwecke, Rüstungsindustrie, Bundeswehr und NATO offen und nutzbar sein.
Bundesweit lehnen 70 Hochschulen das per »Zivilklauseln« ab.
Dabei handelt es sich um Selbstverpflichtungen, ausschließlich für rein zivile und friedliche Zwecke zu forschen. Die Idee entstammt der Friedensbewegung der 1980er Jahre, womit eine Politik der Abrüstung, Entspannung und Völkerverständigung befördert werden soll, im Einklang mit dem »Friedensgebot« des Grundgesetzes. Nur in Bayern gibt es diesen schweren staatlichen Eingriff in die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit.
Tatsächlich fordern die Rüstungsindustrie, Friedrich Merz von der CDU sowie die FDP, die »Zivilklauseln« bundesweit abzuschaffen.
Ja, skandalöserweise. Es gilt, dieses Gesetz in Bayern zu kippen und damit auch Zivilklauseln zu retten. Sonst könnte es bald als Blaupause für Bund und andere Bundesländer dienen.
Wie weit ist die Kriegsvorbereitung insgesamt fortgeschritten?
Seit Jahren erleben wir eine kaum vorstellbare Militarisierung, eine enorme Aufrüstung der Bundeswehr, milliardenschwere Rüstungsexporte an Kriegsparteien und in Kriegsgebiete – inklusive Beihilfe zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen. Dann der Exekutivbeschluss zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ohne parlamentarische Legitimation. Bundeswehr und Republik »kriegstüchtig« machen zu wollen bedeutet mehr als grundgesetzkonforme Verteidigungsfähigkeit. All dies zugunsten der Rüstungslobby, aber zulasten sozialer Belange, des Sozialstaatsprinzips und des Friedensgebots gemäß Grundgesetz. Angesichts der damit verbundenen Fehlentwicklungen, sozialen Verwerfungen und weiteren Gefahren für diese Gesellschaft ist es geboten, darüber aufzuklären und sich organisiert zur Wehr zu setzen, auch seitens der Gewerkschaften.
Wie sieht es damit aus?
Die Friedensbewegung organisiert Aufklärung und Widerspruch. Daran beteiligen sich vermehrt auch die davon unmittelbar Betroffenen aus dem Bildungs- und Wissenschaftssektor und deren Gewerkschaften – mit Aufrufen, Resolutionen, Petitionen.
Wie steht die Chance, mit der von der Gewerkschaft GEW und der Friedensorganisation DFG-VK initiierten Popularklage etwas zu erreichen?
Ich halte die Klage für aussichtsreich. Das Gesetz greift unverhältnismäßig in Wissenschafts-, Lehr- und Forschungsfreiheit sowie in die Hochschulautonomie ein und dürfte gegen Indoktrinierungsverbot und Gewissensfreiheit an Schulen verstoßen. Das sind grundlegende verfassungsrechtliche Freiheiten, die nicht ausgehebelt werden dürfen.
Rolf Gössner ist Jurist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) und Mitherausgeber des jährlich erscheinenden »Grundrechtereports«
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