Gruß an die Nachwelt
Von Manfred Hermes
Meredith Monk hat der Kunst und den Künsten einige neue Impulse gegeben und sie um vorher so nicht Gemachtes bereichert. Die kurze, schmale Frau mit der prominenten Signatur dünner geflochtener Zöpfe, 1942 geboren, ist Komponistin, Performerin, Choreographin, hat Tanztheater, Opern, Schallplatten und Filme gemacht. Ausgangspunkt ihrer Arbeit war immer der Gesang bzw. ein spezielles Singen von Lauten und Kadenzen unter hochdynamischem Einsatz aller drei Oktaven, die ihre Stimme umfasst. Als sie vom Gesang der Vögel ausging, erinnerte das auch an die groteske Verspieltheit dadaistischer Vokalaufführungen. Man konnte auch an Valeska Gert denken, nur dass Monks Vorträge nicht psychotisch verspannt, sondern fließend, permutativ und außerordentlich genau choreographiert sind.
Von da aus hat sie ein reichhaltiges und wirklich eigenartiges (und auch sentimentales) Werk aufgefaltet, dem Billy Shebar nun einen Dokumentarfilm gewidmet hat. In »Monk in Pieces« zeigt er viel historisches Filmmaterial und gibt so einen guten Eindruck von Monks künstlerischer Diversität, vom Charakter und der Wirkung ihrer Gesangsaufführungen oder von Stücken wie »Quarry« (1976), »Ellis Island« (1981) oder der Oper »Atlas« (1999). Monks bis dahin aufwendigste Produktion ist autobiographisch geprägt und handelt von Frauen, die eine künstlerische Entwicklung unter prekären Umständen und gegen Widerstände verfolgen und dabei auch über die Funktion allererster Erinnerungen beim Verfolgen dieser Pläne nachsinnen.
Für Peter Greenaway war Monk neben Cage, Glass und Ashley eine der »Four American Composers«, deren Werk er 1983 für das Fernsehen bereits so umfassend porträtiert hatte, dass sich jetzt auch Shebar großzügig daraus bedienen konnte. Sein »Monk in Pieces« geht aber auch, wie das heute so ist, stärker auf persönliche Dinge ein, und daher erfährt man viel über die Familie und ihre Geschichten. Der Großvater mütterlicherseits war aus Russland in die USA emigriert, auch er war schon Musiker. Die Mutter wurde Sängerin und konnte lange ganz gut von Radiowerbung leben, als diese noch live in die Programme eingespielt wurde. Allerdings hatte sie an ihrer Tochter nur wenig Interesse und war ihr wohl auch sonst keine große Hilfe. Um den Augendefekt Strabismus zu lindern, schickte sie sie aber in einen eurythmischen Musikkurs, und dessen Ansätze waren für Monks künstlerische Zukunft dann doch sehr prägend.
»Monk in Pieces« zeigt, wie gesagt, viel Filmmaterial, setzt dabei aber auf eine launische Interessantheit und hat eine kunstgewerbliche Schlagseite, die ihrem Objekt nicht ganz angemessen ist, etwa bei der Gestaltung der Zwischentitel. In einem dieser Abschnitte geht es um frühe Monk-Kritiken, die wegen ihres abwertenden oder herablassenden Tons gegeißelt werden. Das ist insofern wohlfeil, als viele Künstler in ihren Anfängen so was erlebt haben, übrigens auch solche, die vielleicht zu recht vergessen wurden und harsche Urteile im nachhinein nicht durch späteren Erfolg oder größere Penetranz ins Unrecht setzen konnten. Viel hängt in künstlerischen Karrieren oft auch davon ab, mit was für Weggefährten man assoziiert wird, wie die Einflüsse verlaufen oder wer aus jüngeren Generationen sich darauf bezieht und wie. Letzteres trifft auf Björk zu, für die, wie sie hier behauptet, Monks esoterisch-meditativ-ritualistisches »Dolmen Music« (1981) ein Erweckungserlebnis war. Oder auf David Byrne, der seine Ehrerbietung durch die Verwendung des »Road Song« in »True Stories« (1986) zeigte.
Und anders als Monks Mutter, der in mittleren Jahren die Aufträge wegbrachen und die im Alter in die Depression verfiel, zeigt Monk alle Anzeichen eines gelungenen Lebens. Sie hat keine Reichtümer angesammelt und lebt seit Jahrzehnten im selben Loft in New York, das im Grunde ein großer Arbeits- und Probenraum mit einem tiny-house-artigen privaten Anhang ist.
Monk kann auch deshalb bis heute arbeiten, weil sie sich, dem Avantgardismus sei Dank, konstruktiv an die körperlichen Veränderungen anpassen konnte. Trotzdem geht es ihr inzwischen auch darum, aus dem Altern den weitergehenden Schluss zu ziehen, dass die eigene künstlerische Praxis nun als Erbe zu sichern und womöglich in die Zukunft zu tradieren sei. Dieser Dokumentarfilm, so scheint es, ist ein Baustein bei diesem Vorhaben.
»Monk in Pieces«, Regie: Billy Shebar, USA/BRD/F 2025, 94 Min., Panorama, 22.2., 23.2
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