Deutschland gespalten
Von Jörg Kronauer
Das Teilergebnis der Bundestagswahl, das jenseits der deutschen Grenzen am breitesten wahrgenommen wurde, war – neben der Tatsache, dass die Union mit Friedrich Merz wohl den nächsten Bundeskanzler stellen wird – der steile Aufstieg der AfD. Überwiegend wurde er mit Sorge kommentiert. Einflussreiche Tageszeitungen von der brasilianischen Folha de São Paulo über die französische Le Monde bis zur indischen The Hindu brachten ihre Sorge in fetten Überschriften zum Ausdruck. Es gab aber auch andere Stimmen. Die AfD habe »Angriffen und Lügen der Linken« getrotzt, jubelte Italiens stellvertretender Premier und Verkehrsminister Matteo Salvini von der extrem rechten Partei Lega. Europa müsse sich jetzt endlich ändern, etwa »illegale Einwanderung und islamischen Fanatismus« stoppen. Wegen ihrer antiislamischen Hetze löste der Erfolg der AfD Applaus aus – etwa in Kommentaren indischer Hindu-Nationalisten, die ihrerseits gegen Muslime agitieren. Einige indische Zeitungen retteten sich, zwischen der Furcht vor deutschem Rassismus und spürbarer Sympathie für ein hartes Vorgehen gegen Islamisten navigierend, in eine Art wohlwollender Neutralität.
Zahlreiche internationale Beobachter urteilten, der mutmaßlich künftige Bundeskanzler Merz werde nicht zuletzt mit der Aufgabe konfrontiert sein, Antworten auf die zahlreichen Attacken der US-Regierung zu finden. Wie zur Bekräftigung hatte US-Präsident Donald Trump unmittelbar nach der Wahl verkündet, der Sonntag sei »ein großartiger Tag für Deutschland« gewesen. Schließlich sei »die deutsche Bevölkerung« – ganz wie die USA – endlich der »No-Common-Sense-Agenda« überdrüssig geworden, so etwa bei der Immigration. Das durfte man als Beifall für die von der Trump-Regierung geförderte AfD verstehen. Gerade auch im Hinblick darauf hielten zahlreiche Kommentatoren aufmerksam fest, dass Merz es schon kurz nach Schließung der Wahllokale seine »absolute Priorität« nannte, »Unabhängigkeit von den USA« zu erreichen. Eine »tektonische Plattenverschiebung« sei das, die bis vor kurzem »undenkbar« gewesen sei, kommentierte die BBC, während ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums zufrieden äußerte, die Volksrepublik unterstütze »die strategische Autonomie der EU«. Russlands Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow erklärte – auch im Hinblick auf eine etwaige neue Distanz Berlins gegenüber den USA –, in Moskau hoffe man nun auf eine Wende zu einem »nüchternen Ansatz« in der deutschen Außenpolitik. Er gab sich aber skeptisch.
Manche Kommentatoren nahmen zugleich Deutschlands schwierige innere Lage in den Blick. Nicht nur, dass die Bundesrepublik aufgrund ihrer aktuellen ökonomischen Schwäche einmal mehr als »kranker Mann Europas« wahrgenommen werde, wie es etwa die in Genf erscheinende Schweizer Tageszeitung Le Temps in ihrer Wahlanalyse festhielt. Das Ergebnis – Absturz der SPD, Aufstieg der AfD, zwei dezidiert linke Parteien zusammen bei fast 14 Prozent – zeige auch, dass die lange gepflegte Vorstellung, die Berliner Politik sei fest in den Händen einer stabilen, zentristischen Elite, offenbar nicht mehr den Realitäten entspreche, urteilten britische Kommentatoren. Die Londoner Times beobachtete, die AfD sei unter den 25- bis 34jährigen inzwischen die beliebteste Partei, unter den 35- bis 44jährigen so gut wie gleichauf mit der Union, während sie unter den unter 29jährigen zweitstärkste Kraft nach Die Linke sei. Die etablierten Parteien bröckelten, stellte die Zeitung besorgt fest und konstatierte, das Land sei »gespaltener denn je«.
Beinahe ungläubiges Befremden löste etwa in Großbritannien die Tatsache aus, dass zahlreiche im Ausland lebende Deutsche nicht an der Wahl teilnehmen konnten, weil die zuständigen deutschen Behörden in der Lage waren, ihnen die Wahlunterlagen rechtzeitig zuzusenden. Zu denen, die auf diese Weise ihres eigentlich doch garantierten Wahlrechts beraubt wurden, zählte auch Miguel Berger, Botschafter Deutschlands in Großbritannien. Das dürfte dem sich im Ausland hartnäckig haltenden Mythos von der technisch perfekt funktionierenden Bundesrepublik, den die Deutsche Bahn mittlerweile kräftig angefahren hat, einen weiteren Schlag versetzen.
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