»Wie gar viel Unrecht!«
Von Gerhard Hanloser
»Die Bauernkriege waren die gewaltigste Revolution, die Deutschland vor 1848 erlebt hat«, urteilte bekanntermaßen Friedrich Engels in seiner großen Abhandlung zum Thema von 1850. Vor heuer genau 500 Jahren erhoben sich Bauern, Handwerker und Tagelöhner gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. In der DDR wurde der Kette an Revolten, wilden Protesten und Aufständen als frühbürgerlicher Revolutionsversuch der unterdrückten Klassen gegen den Feudalismus und damit als Vorläufer späterer sozialistischer Bewegungen an Jahrestagen und in vielen Buchpublikationen gedacht. Vor allem wurde der Gegenspieler Luthers im protestantischen Gelehrtenlager gewürdigt: Thomas Müntzer, dessen »Omnia sunt communia« sozialrevolutionär gedeutet wurde. Heute gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Neuerscheinungen, die sich den Ereignissen des Jahres 1525 im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation widmen.
Giulio Camagnis Graphic Novel »1525. Der Aufstand« beleuchtet die Kämpfe in einer von Apokalypseerwartung geprägten Zeit, in der die unteren Schichten bessere Lebensbedingungen und Gerechtigkeit im Sinne des Evangeliums einklagten. Der Comic ist in Kooperation mit dem Leiter der Kunsthalle und von Museen in Memmingen entstand und enthält eine Bibliographie der neusten historischen Forschung zum Thema. Und siehe da: Das dezentrale Element der Aufstände wird in der Graphic Novel betont, sozialgeschichtlicher Forschung folgend zeigt sie den Charakter der Aufstände als »Revolution des gemeinen Mannes« gegen feudale Herrschaft und kommt damit den Ergebnissen der marxistischen Historiographie recht nahe.
Zu Beginn taucht Albrecht Dürer als Zeitgenosse der Bauernkriege auf, von dem die erschrockenen Worte überliefert sind: »O Gott, wie gar viel Unrecht geschieht unter den Bauern!« Die Graphic Novel zeichnet die brutale Reaktion der Fürsten auf die Forderungen der Aufständischen nach. In der Entwicklung von den – wenn auch nicht »frühbürgerlichen«, so eher sozialrevolutionär-chiliastischen – Emanzipationsbewegungen über die spätere Formierungsphase der unteren Klassenbewegungen bis zur modernen Arbeiterbewegung spielten durchaus maßvolle Forderungen nach Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. Das verdeutlichen auch die hier gut in Szene gesetzten politischen Manifeste der Aufständischen, die eine Neuverhandlung des Gesellschaftsvertrags und die Einführung von Menschen- und Freiheitsrechten im Namen der göttlichen Gerechtigkeit verlangten. Anstatt auf die Anliegen einzugehen, antworteten die Herrschenden mit roher Gewalt, um ihre Vormachtstellung zu sichern. Chroniken jener Zeit berichten von über 100.000 Toten unter den Aufständischen sowie der Zerstörung zahlreicher Dörfer, Klöster und Burgen.
Dem 1973 im italienischen Udine geborenen Camagni gelingt es, die komplexen historischen Zusammenhänge des Bauernkriegs eindrucksvoll darzustellen. Seine detaillierten Illustrationen und die für einen Comic ausufernden Textelemente vermitteln ein gutes Bild dieser chaotischen und krisenhaften Epoche. Camagni ist auch als Maler bekannt und hat sich dem Tachismus verschrieben – einer europäischen Antwort auf den abstrakten Expressionismus der USA mit spontanen, fleckenartigen Farbaufträgen ohne vorherige Skizzen oder feste Komposition. Der Comic dagegen folgt der klassischen Illustration, sein Stil ist realistisch gehalten und historisch detailliert. Die Erzählweise ist weitgehend linear und folgt den Geschehnissen chronologisch, was dem Leser einen klaren Überblick über die Ereignisse ermöglicht. Wer eine packende Narration erwartet, könnte enttäuscht werden. Charakterentwicklung eines oder mehrerer Hauptprotagonisten steht nicht im Vordergrund, zuweilen ist unklar, aus welcher Perspektive erzählt wird. Leser mit Interesse an einem mitreißenden literarischen Erzählstil seien auf den Bauernkriegsroman »Q« von Luther Blissett verwiesen. »1525. Der Aufstand« ist über weite Strecken fast schon lexikalisch, pädagogisch lehrreich und folgt dem Anspruch, historische Genauigkeit mit künstlerischer Qualität im realistischen Zeichenstil zu verbinden.
Giulio Camagni: 1525: Der Aufstand. Bahoe Books, Wien 2024, 128 Seiten, 28 Euro
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