Neues von Ali Baba
Von Pierre Deason-Tomory
Literatur kann Leben retten, das lehren die Schicksale einer orientalischen Wesirstochter namens Šahrzād und des Geheimagenten und Kritikers Marcel Reich-Ranicki. Letzterer trug dem polnischen Ehepaar Gawin, das ihn während der Naziokkupation versteckte, abends ganze Romane vor, damit sie ihn nicht an die Deutschen auslieferten. Er selbst hat diese Strategie später mit der Rahmenhandlung von »Tausendundeiner Nacht« verglichen, in der besagte Šahrzād, oder Scheherazade, mit Gutenachtgeschichten ihren Ehemann davon abbringt, sie postkoital zu entleiben. Die ihr zugeschriebenen Erzählungen waren in frühen Versionen zuweilen obrigkeitskritisch oder schlüpfrig und wurden deshalb morgenlandweit (wie auch im Westen) entschärft, verblödet oder verteufelt, noch 1985 in Kairo öffentlich verbrannt. Davon erzählt Dalila Zouaoui-Becker in der »Essay und Diskurs«-Ausgabe »Sex, Dschinn, Religion«, sie bringt darin die 1.001 Scheherazaden gegen die 114 Suren in Stellung (9.30 Uhr, DLF). Die Kollegen vom anderen Deutschlandfunk starten am Freitag eine Kurzhörspielreihe, für die sie 66 der 1.001 Geschichten neu inszeniert haben. Sie werden täglich außer sonntags kurz vor den 17-Uhr-Nachrichten gesendet, Folge eins: »Der tödliche Dattelkern« (DLF Kultur 2025, 16.50 Uhr).
Die katholische Kirche verteufelt auch dann und wann, bei Gelegenheit entteufelt sie sogar. Immer noch. Das Feature »Besessen in Österreich« berichtet über Teufelsaustreibungen wie die im vergangenen Jahr in einer Wiener Klinik (Mi., 16.05 Uhr, Ö 1). In den »Querköpfen« präsentiert eine Querköpfin ihr neues Programm, Sarah Hakenberg singt über das »Hündchenlynchen in München« und vom »Mut zur Tücke« (Mi., 21.05 Uhr, DLF). Die Reihe »Das Wissen« belehrt über den »Ekel – Wenn die Abscheu Körper und Denken beherrscht« (Do., 8.30 Uhr, SWR Kultur). »Die Ö 1-Hörspielgala« steht wieder an, am Freitag wählen die Hörer das »beste Stück des Jahres« 2024 (19.05 Uhr), am Samstag wird es ausgestrahlt (14 Uhr). Dazwischen liegt die »Lange Nacht über William Faulkner« (DLR 2021, Sa., 0.05 Uhr, DLF Kultur; 23.05 Uhr, DLF). Zur Einstimmung auf das anstehende Faschingsrowdytum überträgt WDR 5 »Die Stunksitzung 2025«, das Beste vom alternativen Kölner Karneval mit dem Stunk-Ensemble und Köbes Underground (Sa., 15.04 Uhr).
Am Samstag abend läuft im »Hörspielkunstpalast« das Stück »Zwielicht« von Rolf Schneider über einen fiktiven Mendel Horowitz, der wie der echte Reich-Ranicki vor den Nazis versteckt wird, aber anders als dieser noch 20 Jahre über das Kriegsende hinaus (WDR 1966, 19.04 Uhr, WDR 3). In die Oper locken Donizettis »Lucrezia Borgia«, aufgenommen am 16. Februar im Teatro Costanzi in Rom (Sa., 19.05 Uhr, DLF Kultur), und Mozarts »Zauberflöte«, gegeben am 1. Februar in der Wiener Staatsoper (Sa., 20.03 Uhr, BR Klassik, HR 2 Kultur, MDR Kultur, NDR Kultur, Radio 3, SR 2 Kultur, SWR Kultur, WDR 3). Ein Zeitgenosse Mozarts, der Schriftsteller Rétif de la Bretonne, hat, wenn sein Liebesleben ihm dafür Zeit ließ, das Leben der »niederen Stände« im Paris vor und während der Französischen Revolution beschrieben und eine vielgerühmte wie kaum gelesene Autobiographie hinterlassen, über die er staunte: »Hier bin ich nun selbst ein Buch geworden«; Feature von Reinhard Kaiser (HR 2017, So., 18.04 Uhr, HR 2 Kultur). Und in der kommenden Woche lesen Klaus Stieringer und Horst Breiter in fünf Folgen »Zwei Petersburger Novellen« von Nikolai Gogol, »Die Nase« und »Der Mantel« (NDR 1991, ab Mo., 9.04 und 19.04 Uhr, MDR Kultur).
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