Mit der Lupe zu suchen
Von Reinhard Lauterbach
Die Ukraine hat offenbar praktisch keine eigenen Vorkommen an sogenannten seltenen Erden. Dies geht aus einem Bericht der US-Wirtschaftsagentur Bloomberg hervor, der sich seinerseits auf eine Studie des United States Geological Survey stützt. Demnach ist die Behauptung von US-Präsident Donald Trump, die Ukraine besitze Vorkommen an »strategischen seltenen Erden« im Wert von »Billionen US-Dollar«, von den Tatsachen nicht gedeckt und womöglich die Folge einer terminologischen Verwechslung.
Sie beruht darauf, zwei Begriffe in der Rohstoffdiskussion zu vermischen: sogenannte strategische Metalle und seltene Erden. An strategischen Metallen hat die Ukraine tatsächlich einiges aufzuweisen: Europas größte Lithiumvorkommen, ebenso reiche Lagerstätten an Uran, Titan, Graphit, Kobalt und Kupfer. Alle diese Rohstoffe gelten als strategisch wichtig, zählen aber nicht zu den seltenen Erden. Von diesen letzteren – insgesamt 17 Elementen des chemischen Periodensystems – birgt der ukrainische Boden den Studien zufolge kaum etwas, jedenfalls nichts, was auch nur annähernd die von Trump genannten enormen Summen wert wäre.
Auch bei den strategischen Metallen ist die Lage offenbar bei weitem nicht so positiv, wie es Trump und vor ihm Wolodimir Selenskij dargestellt hatten. Denn ein Großteil dieser Vorkommen ist zwar in den 1970er Jahren von sowjetischen Geologen nachgewiesen, bisher aber nicht erschlossen worden. Außerdem fehlen der Ukraine anders als Russland Aufarbeitungsmöglichkeiten etwa von Titanerz zu dem in der Flugzeugindustrie benötigten Titanschwamm oder von Rohuran zu einer Form, wie sie für AKW-Brennelemente nutzbar ist. Hinzu kommt, dass etwa die Hälfte der ukrainischen Vorkommen an strategischen Metallen in den seit 2022 von Russland eroberten Gebieten oder in unmittelbarer Nähe der Frontlinie liegt. All dies macht hohe Anfangsinvestitionen in die Erschließung der Lagerstätten und die Aufbereitung nötig, wenn die entsprechenden Materialien wirtschaftlich genutzt werden sollen. Insbesondere setzt diese Nutzung natürlich auch ein Ende der Kämpfe voraus.
Die Frage ist, wie es zu der folgenschweren Verwechslung bzw. Begriffsvermischung gekommen ist. Der Bloomberg-Beitrag vom 19. Februar führte die Terminologie auf eine Veröffentlichung des NATO Energy Security Centre of Excellence zurück, das entgegen seinem Namen aber zumindest offiziell nichts mit dem westlichen Militärbündnis zu tun hat, sondern von Litauen aus proukrainische Lobbyarbeit betreibt. Dort hieß es 2023: »Die Ukraine entwickelt sich zu einem möglichen Lieferanten von seltenen Erden wie Titan, Lithium, Beryllium, Mangan, Gallium und Uran.« Wie gesagt, Kopfrechnen: schwach, Religion: sehr gut. Keines dieser Metalle zählt zu den seltenen Erden. Es handelt sich um proukrainische Desinformation, die Selenskij im Vorfeld der Münchner »Sicherheitskonferenz« wiederholt hatte, als er den USA die Nutzung dieser Vorkommen anbot. Offenbar mit dem Ziel, die USA »materiell daran zu interessieren«, der Ukraine wegen ihrer mutmaßlichen Rohstoffvorkommen militärische Sicherheitsgarantien zu gewähren.
Dieser Plan ist allenfalls halb aufgegangen und jedenfalls nicht zum Vorteil der Ukraine. Sie sieht sich jetzt mit US-Forderungen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar konfrontiert, die sie vermutlich über Jahrzehnte nicht wird abtragen können. Der Grund dafür, dass Donald Trump sich nicht zweimal sagen ließ, »alles zu nehmen, was wir kriegen können«, liegt wahrscheinlich darin, dass die USA vor allem bei den seltenen Erden ziemlich hoffnungslos hinter China zurückliegen. Die Volksrepublik kontrolliert im eigenen Land und außerhalb mindestens 80, nach anderen Berechnungen 90 Prozent der weltweiten Produktions- und Aufarbeitungskapazitäten, nachdem die US-Industrie in den 1990er Jahren eigene Standorte zum Abbau der Bodenschätze wegen fehlender Profitabilität zum damaligen Zeitpunkt geschlossen hatte. Am Montag hat immerhin Russlands Präsident Wladimir Putin diesen ganzen Kalkulationen den global konfrontativen Zahn zu ziehen versucht: Er bot den USA die gemeinsame Erschließung der Vorhaben an seltenen Erden sowohl in Russlands hohem Norden als auch in den russisch besetzten ehemals ukrainischen Territorien an. Wozu Krieg führen, wenn man einen Deal machen kann? Vielleicht verfängt dieses Argument ja bei Donald Trump.
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