Dreigestirn übernimmt in Wien
Von Dieter Reinisch, Wien
Die Koalitionsverhandlungen in Österreich zwischen konservativer ÖVP, den Sozialdemokraten der SPÖ und den liberalen Neos befinden sich auf der Zielgeraden. Am Dienstag abend tagte das Präsidium der SPÖ mehrere Stunden lang. In den Gesprächen ging es vor allem um die Besetzung der Posten. Parteichef Andreas Babler wird als Vizekanzler das Ressort für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport leiten. Auch das mächtige Finanzministerium wird nach längerer Zeit wieder an die Sozialdemokraten gehen. Doch hier gab es Spannungen mit der einflussreichen Wiener SPÖ, die einen ihrer Kandidaten in das Ministerium hieven möchte. Babler wollte es dagegen mit einer seiner Vertrauten, der Salzburger Nationalratsabgeordneten Michaela Schmidt oder der Vorständin der Österreichischen Bundesbahn, Silvia Angelo, besetzen. Schließlich dürften sich die Wiener durchgesetzt haben: Die Presse berichtete am Mittwoch, dass der Wiener Peter Hanke Finanzminister werden soll.
Fix scheint, dass SPÖ-Frauen-Chefin Eva-Maria Holzleitner das Ministerium für Frauen, Familie, Integration und Medien übernehmen soll, die Vizepräsidentin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Korinna Schumann, das Sozialministerium. Insgesamt sind 14 Ministerien geplant, von denen jeweils sechs an ÖVP und SPÖ gehen, zwei an die Neos. Den Konservativen werden neben dem Kanzleramt das Innen- sowie das Verteidigungsministerium zufallen. Daneben wird es sieben Staatssekretariate geben. Jeweils drei dürften ÖVP und SPÖ zukommen, eines den Neos.
Am Mittwoch wurde zunächst weiter am Koalitionsabkommen gefeilt. Aus Verhandlerkreisen hieß es, dass es am Abend – nach Redaktionsschluss – veröffentlicht werden könne. Bereits bekanntgeworden war, dass ein enormes Kürzungspaket auf die Menschen zukommen wird, mit dem die neue Regierung ein EU-Defizitverfahren und damit die Zahlungsunfähigkeit abwenden möchte. In diesem Jahr sollen 6,4 Milliarden Euro, im kommenden 8,4 Milliarden eingespart werden. Dabei orientieren sich die zukünftigen »Zuckerl«-Koalitionäre (nach den Parteifarben türkis, rot und pink) an dem im Januar von FPÖ und ÖVP ausgearbeiteten Haushaltsentwurf im Rahmen der damaligen Verhandlungen.
Neben umfassenden Kürzungen soll es zusätzliche Einnahmen durch Bankenabgabe, Übergewinnsteuer, Unternehmensabgabe und höhere Besteuerung von Grundstücksverkäufen und Privatstiftungen im Umfang von 1,3 Milliarden Euro geben. Bei Renten und Förderungen soll gekürzt werden. Auch der Klimabonus zum Ausgleich von Kostensteigerungen durch CO2-Abgaben wird gestrichen. Durchgesetzt haben könnte sich die SPÖ in der Wohnfrage. Einige Medien berichteten am Mittwoch, dass es zu einem dreijährigen Stopp von Mieterhöhungen kommen soll.
Die Ressortbesetzungen müssen noch von den Parteigremien bestätigt werden. Die SPÖ tagt dazu am Freitag, am selben Tag wohl auch die ÖVP. Ziel ist eine Vereidigung der neuen Regierung am Montag. Dann soll es auch ein Treffen der Parteichefs mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen geben. Dieser kündigte jedoch an, »persönliche Gespräche« mit allen Regierungsmitgliedern führen zu wollen. Einige Beobachter erwarten daher eine Angelobung des neuen Kabinetts erst Donnerstag kommender Woche.
Der SPÖ-Abgeordnete Philip Kucher sagte am Mittwoch auf dem Weg zu einer Nationalratssitzung dem ORF: »Wir sind hoffentlich bald im Finale.« Es werde »super werden«, gab sich auch die Neos-Abgeordnete Henrike Brandstötter optimistisch. Ob der Optimismus der Liberalen, Teil einer Dreierkoalition zu werden, nicht verfrüht ist, wird sich am Sonntag zeigen. Bei den Neos müssen die rund 4.000 Parteimitglieder mit einer Zweidrittelmehrheit für den Regierungseintritt stimmen. Damit dies gelingt, erhielten sie zwei Zuckerl: Außen- und Bildungsministerium. Lehnen die Neos gegen alle Erwartungen ab, wird es voraussichtlich dennoch zu einer Koalition aus ÖVP und SPÖ kommen. Beide Parteien haben seit der Nationalratswahl am 29. September 2024 einen Sitz Mehrheit im neuen Parlament und dürften dann von den Grünen gestützt werden, die aber nicht Teil einer Regierung sein sollen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. Februar 2025 um 10:33 Uhr)Dreigestirn? Wo sind hier die Sterne, geschweige denn die leuchtende Kraft? Österreich hat sich also für ein »Dreigestirn« entschieden: ÖVP, SPÖ und Neos wollen gemeinsam regieren. Doch bei genauerem Hinsehen fragt man sich: Wo sind hier die strahlenden Sterne? Da haben wir die ÖVP, die nach dem Motto »Altes bewahren« agiert und sich mit aller Kraft an Traditionen klammert. Die SPÖ hingegen versucht verzweifelt, ihre einstige Arbeiterbasis wiederzufinden, während die Neos mit liberalen Ideen jonglieren, die oft mehr Verwirrung stiften als Klarheit bringen. Und nun sollen diese drei Parteien gemeinsam das Land führen? Es wirkt eher wie ein Versuch, drei unterschiedliche Melodien gleichzeitig zu spielen und dabei Harmonie zu erwarten. Statt eines leuchtenden Sterns am politischen Himmel sehen wir ein flackerndes Licht, das mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Schwarz-Rot-Pink – das klingt nach einem ausgefallenen Modeexperiment oder einer misslungenen Inneneinrichtung, aber doch nicht nach einer stabilen Regierung! Vielleicht sollten wir unsere Erwartungen an dieses »Dreigestirn« anpassen und uns auf eine turbulente Reise gefasst machen, bei der der Kompass ständig neu justiert werden muss.
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