Kleine große Koalition
Von Karim Natour
»Große Koalition« hieß das Regierungsbündnis aus SPD und Union früher einmal. Das war, als die beiden Parteien noch stolze Exemplare vom Typ »Volkspartei« waren und damit die mandatsstärksten Parteien im Bundestag. Nach der Bundestagswahl haben am Freitag morgen die Sondierungen für eine »kleine Groko« in Berlin begonnen. Weil BSW und FDP es nicht in den Bundestag geschafft haben und die Union sich – noch – gegen eine Koalition mit der AfD verwehrt, bleibt »Schwarz-Rot« die einzige realistische Option. CDU/CSU hatten bei den Bundestagswahlen am Sonntag 28,6 Prozent der Stimmen auf sich vereint, das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Die SPD wurde drittstärkste Kraft mit nur 16,4 Prozent – das historisch schlechteste Abschneiden der Sozialdemokraten. Die AfD war mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Der neue Bundestag muss sich spätestens bis zum 25. März konstituieren.
An den Gesprächen im Jakob-Kaiser-Haus nahmen am Montag unter anderem die Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) sowie Lars Klingbeil und Saskia Esken (beide SPD) teil. Darüber hinaus waren weitere einflussreiche Parteimitglieder anwesend. Laut dpa sollte es bei dem ersten Treffen um grobe Linien und einen Zeitplan für die weiteren Verhandlungen gehen. Daneben sollten atmosphärische Unstimmigkeiten aus dem Wahlkampf aus dem Weg geräumt werden. Die Beratungen sollen in der kommenden Woche fortgesetzt werden.
Von mehreren Seiten hatte es kurz nach der Wahl geheißen, Deutschland solle angesichts der »besonderen Herausforderungen« schnell eine neue Regierung bekommen und »handlungsfähig« sein. Der wahrscheinlich künftige Kanzler Merz hat deutlich gemacht, dass eine Regierung bis Ostern gebildet werden soll. Allerdings werden schwierige Verhandlungen erwartet. Merz hat seinen Wählern einen »Politikwechsel« versprochen, braucht aber die SPD, die stark lädiert aus der Ampelkoalition kommt und sich wohl hüten wird, zu viele Konzessionen einzugehen. Der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Klingbeil erklärte, dass für seine Partei eine Regierungsbeteiligung kein Automatismus sei. Darüber hinaus wird für viele Gesetze auch im Bundesrat eine Mehrheit gebraucht, wo zusätzlich die Stimmen der Grünen und für Grundgesetzänderungen sogar die der FDP bzw. Linkspartei gebraucht werden könnten. Einfach durchregieren können wird Merz also nicht.
Kompliziert könnte es bei der Migrationspolitik und bei wirtschaftspolitischen Themen wie Mindestlohn, Steuern und Rente werden. Im Hinblick auf die Ukraine könnten die Verhandlungen ebenfalls schwierig werden. Merz hatte in der Vergangenheit mehrfach erklärt, er wolle der Ukraine auch »Taurus«-Marschflugkörper mit großer Reichweite liefern. Die SPD hat das bisher kategorisch abgelehnt. Auch eine kleine Anfrage der Union zur Finanzierung von gemeinnützigen NGOs stieß bei der SPD auf heftige Kritik. Klingbeil forderte die Union mit Blick auf die Verhandlungen dazu auf, die Anfrage zurückzuziehen. Daneben will die Union das von der Ampelregierung unter SPD-Führung reformierte Wahlrecht wieder ändern. Viel Einigkeit besteht indessen über ein neues »Sondervermögen« von 200 Milliarden Euro für die Bundeswehr, das noch durch den alten Bundestag gejagt werden soll, um nicht auf die Stimmen von Linken bzw. AfD angewiesen zu sein, die im neuen Parlament zusammen eine sogenannte Sperrminorität haben.
Vor dem Hintergrund des starken AfD-Ergebnisses bei den Wahlen warnte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) eindringlich vor dem Scheitern einer »schwarz-roten« Bundesregierung. Wenn jetzt die »Demokraten nicht die Probleme lösen und das besser machen als die Ampelregierung«, dann würden die »krassen AfD-Ergebnisse aus dem Osten« auch »im Westen ankommen«, sagte sie am Rande der Sondierungsverhandlungen. Scheitern die Koalitionsverhandlungen, könnte es zu Neuwahlen kommen. Die Dauer der Gespräche ist gesetzlich nicht festgelegt. Wegen des Platzens der »Jamaika«-Koalition 2017 dauerte die Regierungsbildung damals fast ein halbes Jahr.
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