Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Kriegstaugliche Schuldenbremse

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
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Im frisch gewählten, aber noch nicht zusammengetretenen Bundestag haben die drei Parteien CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen allein keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit mehr. Anders gesagt: AfD und Die Linke machen knapp mehr als ein Drittel der Abgeordneten aus. Für die künftige Regierung, für deren Bildung Friedrich Merz (CDU) mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil am Freitag erste Sondierungsgespräche führte, ergibt sich dadurch ein kleines Problem. Soll drastisch weiter aufgerüstet werden, kann an der Schuldenbremse nicht so einfach herumgebastelt werden wie bisher. Der bisherige Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte ja im Februar 2022 keine Schwierigkeit, den »Zeitenwende«-Fonds, ein Sondervermögen zur Aufrüstung in Höhe von 100 Milliarden Euro, durchs Parlament zu bugsieren. Die große Oppositionspartei CDU/CSU stimmt unter Führung von Merz dem Vorhaben mit Begeisterung zu. Die Zweidrittelmehrheit war gesichert, die Sache damit in trockenen Tüchern.

Dass dieses Sondervermögen schon 2027 ausläuft und vorn und hinten nicht ausreicht, um das Land wirklich kriegsfähig zu machen, hört man nun von allen Seiten. Moritz Schularick etwa, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, ist Verteidigungs- und Rüstungsexperte genug, um definitiv festzustellen, »von der Größenordnung her reden wir dann über 300 bis 400 Milliarden Euro. Wir müssen in den nächsten Jahren in der Lage sein, bis zu 150 Milliarden für die Verteidigung auszugeben«. (Derzeit sind es »nur« etwas mehr als 50 Milliarden jährlich.) Ob die Idee, für ein neues Aufrüstungssondervermögen in vielleicht doppelter oder dreifacher Höhe den jetzt noch existierenden Bundestag zusammenzutrommeln und mit Zweidrittelmehrheit beschließen zu lassen, von Merz stammt oder von den noch rüstungsaffineren Grünen, ist nicht sicher. Jedenfalls wird die Sache erwogen.

Als die Schuldenbremse 2009 ins Grundgesetz hineingebastelt wurde, war eine »große Koalition« aus CDU/CSU und SPD am Werk. Sie hatte gerade erst zur Rettung der deutschen Banken mit einer halben Billion Euro die größte, je gemachte Einzelausgabe getätigt. Kanzlerin Angela Merkel versprach damals den Kapitalverbänden, dass solches nie wieder vorkommen werde. Die Schuldenbremse sollte dies auch für alle künftigen, vielleicht noch ausgabefreudigeren Regierungen sicherstellen. Nun steht eine kleinere »große Koalition« aus denselben Großparteien vor diesem Problem. Man kann feststellen, die Schuldenbremse ist dabei, ihre Erzeuger zu fressen.

Vermutlich wird es eine Horrormischung an Lösungen geben: Der alte Bundestag wird eine Ausnahme für Rüstungsausgaben beschließen. Falls zusätzlich mehr Geld ausgegeben werden soll, dürfte es nicht überraschen, wenn Hilfskonstruktionen wie eine »Haushaltsnotlage« präsentiert werden. Im äußersten Notfall wird die Regierung Merz/Klingbeil auch mit den beiden unbequemen Oppositionsparteien – der großen AfD und der kleinen »Linken« – ins Gespräch kommen. Das Parlament jedenfalls wird den Übergang zur Kriegswirtschaft nicht behindern.

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