Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 2. April 2025, Nr. 78
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 01.03.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

International versippt

Karl Liebknecht wandte sich 1913 im Reichstag gegen ein Armee-»Sondervermögen«: Es nütze allein den europäischen Kartellen der Rüstungsindustrie
3.jpg
Preußisch-deutsches Heer um 1900: Soldatenunterweisung

Ende März 1913 verlangte die kaiserliche deutsche Regierung vom Reichstag die Summe von 1,25 Milliarden Mark zusätzlich fürs Militär. Allein das Landheer sollte innerhalb von zwei Jahren von 660.000 auf 900.000 Mann gebracht werden. Begründung: Deutschland werde immer stärker von seinen Nachbarn, insbesondere Russland, bedroht. Karl Liebknecht trat den Zwecklügen in mehreren Reichstagsreden entgegen, u. a. am 26. April 1913:

Meine Herren, ich habe bislang den Beweis dafür, dass das Rüstungskapital international versippt und konzerniert ist, noch nicht buchstäblich dokumentarisch geführt. Jetzt bin ich in der Lage, Ihnen hier einen dokumentarischen Beweis dafür zu bringen. Betroffen sind davon folgende Firmen: die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Berlin, die Waffenfabrik Mauser Aktiengesellschaft, Oberndorf am Neckar; dann die Österreichische Waffenfabrikationsgesellschaft in Wien – und nun, bitte, hören Sie – die Fabrique nationale d'armes du guerre in Herstal in Belgien, in der wesentlich französisches Kapital investiert ist.

Meine Herren, zwischen diesen Firmen ist im Jahre 1905 – zunächst auf zehn Jahre – ein Kartellvertrag abgeschlossen worden, der im Jahre 1907 ergänzt worden ist. Der erste Vertrag von 1905 bezieht sich ausschließlich auf Russland, Japan, China und Abessinien, der zweite Vertrag aber bezieht sich, wie es darin heißt, auf »alle übrigen Länder mit nachstehenden Ausnahmen«. Diese Ausnahmen bestehen nun darin, dass einzelnen der Kartellfabriken einzelne Länder reserviert sind. (…)

Meine Herren, dieser Vertrag zwischen den genannten Fabriken geht dahin, dass sie in ihren jeweiligen Vaterländern zur Erleichterung der »patriotischen« Ausbeutung die ausländische Konkurrenz ausschalten und im Übrigen sich gegenseitig den Profit garantieren, ganz ähnlich wie bei dem löblichen Marinekonzern; sie verteilen den Gewinn aus ihren Lieferungen gemeinsam und kontrollieren sich gegenseitig. Es wird ein Schiedsgericht zur Austragung etwaiger Differenzen berufen. Geheimnisse gibt es unter ihnen natürlich nicht. Sie haben sich vertragsmäßig Zeichnungen und Konstruktionen gegenseitig auszuliefern. Sie übernehmen die Rüstungsausbeutung der Völker Europas und der übrigen Welt gemeinsam – nach bestimmten Anteilen – in Entrepris. In dem Ergänzungsvertrag heißt es charakteristischerweise, dass Lieferungen an Bulgarien und Rumänien den österreichischen Fabriken überlassen bleiben. (…) Ähnliches gilt von Serbien. Meine Herren, das sind diejenigen Staaten, von denen Österreich in erster Linie zu gewärtigen hat, dass es mit ihnen in Konflikt geraten könnte.

Meine Herren, die beiden Verträge, deren Veröffentlichung ja nun veranlasst werden wird, so dass Sie in der Lage sein werden, sich mit allen Einzelheiten dieser Ungeheuerlichkeit zu befassen, beweisen aufs Deutlichste die außerordentliche Gefährlichkeit des Rüstungskapitals für den Völkerfrieden. Sie beweisen die vollkommene Skrupellosigkeit und insbesondere Vaterlandslosigkeit des Rüstungskapitals so evident, wie es bisher dokumentarisch noch kaum hat nachgewiesen werden können. Das sind dann die großen Patrioten, die uns wagen vorzuwerfen, dass wir vaterlandslose Gesellen seien! (…)

Aber die größte Gefahr bilden nach wie vor die Rüstungsinteressenten mit ihrem zähen, rastlosen, kein Mittel scheuenden Bemühen, den Zündstoff zu vermehren und nach Möglichkeit auch die Lunte an das Pulverfass zu legen. (…)

Ich sage, meine Herren, wenn es uns angesichts aller dieser Vorgänge in immer weiterem Umfange und immer leichter gelingt, die große Masse der Bevölkerung in Deutschland und auch in den anderen Militärstaaten daran zu gewöhnen, hinter dem gleißenden Prunk des patriotischen Aufputzes grinsen zu sehen jene auri sacra fames, jene verfluchte reißende Gier nach Gold, insbesondere des Rüstungskapitals, so dürfen Sie sich nicht wundern. Ich könnte ja auch den Herrn Gans Edler zu Putlitz als Kronzeugen anrufen, der im vergangenen Jahre unsere Regierung gemahnt hat, auf der Hut zu sein, auf dass wir nicht in »kapitalistische Kriege« verwickelt werden. (…)

Aber im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens, im Interesse der Förderung der Bestrebungen, die verhindern sollen, dass um eine solche wahnwitzige Prestigepolitik Europa in einen Krieg gebracht werde, ist es erforderlich, vor aller Welt einmal wieder mit Fingern auf jene Kapitalcliquen zuweisen, deren Interesse und deren Nahrung der Völkerunfriede, der Völkerzwist, der Krieg ist; ist es erforderlich, den Völkern zuzurufen: Das Vaterland ist in Gefahr! Es ist aber nicht in Gefahr vor dem äußeren Feinde, sondern vor jenen gefährlichen inneren Feinden, vor allem vor der internationalen Rüstungsindustrie.

Karl Liebknecht: Die Internationale des Rüstungskapitals. Reden im Deutschen Reichstag in der zweiten und dritten Lesung des Reichsheeresetats 18. , 19. und 26. April 1913. Hier zitiert nach: Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften. Band VI. Dietz-Verlag, Berlin 1964, Seiten 291–296

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Sichert dieser Jet Arbeitsplätze? Ein Eurofighter steht auf eine...
    22.02.2018

    Inflationäre Kriege

    Airbus-Boss beklagt mangelnde Militärausgaben der Bundesregierung. Flaggschiff der Rüstungsindustrie droht mit Arbeitsplatzverlagerung
  • Tötungsgerät »made in Austria«. ­Philippinische Armee und Polize...
    19.05.2017

    Kleine Massenvernichtungswaffen

    Österreichische Unternehmen spielen bei Herstellung und Vertrieb von Pistolen und Gewehren eine bedeutende Rolle. Ihre Erzeugnisse finden sich in nahezu allen Konfliktgebieten der Welt

Regio:

Mehr aus: Wochenendbeilage