Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 03.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Landlust

Vernunftschlaf

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kam über sie alle

Ich meine, eins der Lieblingsbücher von Klaus Bittermann sei »Die Verschwörung der Idioten« von John Kennedy Toole.

Das erste Weltgesetz lautet: Häuft Idioten an! Der frischeste Neuzugang im Segment derer, die ihre Tassen in der Hirngaststätte sortieren sollten, heißt Jan van Aken. Dieser Kraftkerl hat offenkundig »das größte Problem zwischen den Ohren« (Julius Hilfenhaus, ZDF-Sport, Frauenslalom).

Bei »Hart aber fair« plädierte er neulich für die Freigabe von Cannabis, im gleichen Atemzug indes »fürn Tabakwerbeverbot überall (…) und Alkoholwerbeverbot«. Ist diesem Adelsspross bekannt, dass Cannabis gewöhnlich in Kombination mit Tabak konsumiert wird? Werbung für Tabak seit Jahren verboten ist? Und womit zelebriert van Aken seinen Feierabend? Mit Jasmintee?

In einer anderen TV-Krawallbude hatte Ekel-Aken herumgerotzt, Mi­granten sagten sich samt und sonders: »Ich zieh’ doch nicht hier aufs Land! Wo die ganzen AfDler mir gleich auf die Fresse hau’n!« Welches »Land« meint der Lärmbruder?

Ich kenne auf dem mir geläufigen Land keinen einzigen Wähler der AfD (es sind eine Menge, zumal Arbeiter und Handwerker), der auf die Idee käme, einem Migranten – von denen es bei uns viele gibt – auf die Fresse zu hauen. Der berlinerisch idiotisierte van Aken redet über Welten, die er nie gesehen hat. Das mag eine Voraussetzung dafür sein, Kovorsitzender der Partei Die Linke zu werden. Seine Ergänzungskreischmamsell jedenfalls ratifiziert den solidarischen Dachschaden mit jedem ihrer Beiträge im Bundestag oder auf Pressekonferenzen.

8. Mai

Ich bin Klaus Bittermann äußerst dankbar dafür, dass er Wolfgang Pohrts »Werke« verlegt. Allein der Band elf der Gesamtausgabe, »Briefe & Mails 1976–2016«, ist Gold am Kongo, große Literatur. Pohrt war ein Genie, fast jeder Satz von ihm stimmt, seine Texte waren ein Antidot gegen Idioten.

Im Oktober 1989 richtete Pohrt das Wort an einen Rundfunkredakteur: »Das Dorf wird zum geographischen Ort für Heimat und Gemeinschaft nicht deshalb, weil es diese Dinge dort einmal gegeben hat und das Kapital Hintertupfingen nicht für wert befand, an diesen Dingen zu kratzen, sondern es wird zur Idylle, weil das Kapitalverhältnis es dazu macht. Es verdankt die ihm zugeschriebenen Qualitäten nicht seiner Resistenz, sondern seiner Wehrlosigkeit, die es zur wohlfeilen Projektionsfläche für die vom Kapital produzierten metaphysischen Bedürfnisse der Menschen macht.«

Auch nach längerem Sinnieren hat sich mir die Stelle nicht erschlossen. Da spricht jemand, der wenig bis nichts vom Ländlichen weiß. Ich bin heimatbedürftig, sagen wir: -anhänglich. Ich benötige, ohne dass mir das Kapital das einträufelt, einen gänzlich unmetaphysischen Ort in der Welt, jenen, in dem die Wälder meiner Kindheit stehen, Forste, in denen Greife horsten; die Häuser, die Fluren, die Feldwege, die Kurven der Landstraßen, die flachen Hügel und die grünen Täler, die ich seit langem kenne. Einen Ort, an dem die Vernunft zu Bette gehen darf, und dadurch gebiert sie keine Ungeheuer.

Als ich vorgestern ins Seven Bistro kam, war Wirt André nicht zu sehen. Ich gehe nie hinter den Tresen und hole mir selber ein Bier, das gehört sich nicht, ich rufe auch nicht nach der Bedienung.

Also saß ich dumm rum. Irgendwann vernahm ich ein Schnarchen aus dem Nebenraum. Ich stand auf und sah André ausgestreckt auf dem neuen Sofa an der Fensterfront pofen.

Mir gefiel das, und ich dachte, ich müsste mal wieder den »Oblomow« lesen, diesen grandiosen Roman über einen adligen Tagedieb, der nicht aufstehen mag – und danach gleich noch »Schlaf schneller, Genosse!« von Michail Soschtschenko.

Ich werd’ André fragen, ob wir einen Studienkreis gründen, zur Beförderung der Ruhe- und Schweigeidyllik.

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