»Größere Arsenale halten die Gefahr nicht im Zaum«
Interview: Gitta Düperthal
Vertreter der Vereinten Nationen werden bei der Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag in New York in dieser Woche über Wege zur atomaren Abrüstung verhandeln. ICAN kritisiert, dass die deutsche Regierung fernbleiben wird. Wer wird sie vermissen?
Alle durch den Verbotsvertrag verbundenen Staaten werden sie vermissen. Gerade in diesen spannungsgeladenen Zeiten wäre es notwendig, über ein Ende gegenseitiger Bedrohung und Aufrüstung zu sprechen. Doch das von der »grünen« Außenministerin Annalena Baerbock geleitete Amt für auswärtige Angelegenheiten war entschlossen, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem zu erwartenden Regierungswechsel keine Delegation zur Konferenz zu schicken. Damit wendet sich die Bundesregierung davon ab, die große Mehrzahl der Staaten zu unterstützen, die für nukleare Abrüstung und gegen Atomwaffentests eintreten.
Welche Rolle spielte die BRD bei bisherigen Verhandlungen?
Die BRD unterschrieb zwar den Atomwaffenverbotsvertrag nicht, nahm aber an den UN-Konferenzen dazu teil, um mit den Staaten, die diesen ablehnen, im Gespräch zu bleiben. Gegen den Willen der Atom- und der NATO-Staaten beschlossen 122 der 193 UN-Mitgliedstaaten diesen Vertrag in der UN-Generalversammlung 2017. Ein starkes Signal. Deutschland war beobachtend dabei, gab Statements ab, hat das aber neuerlich aufgegeben. Dabei ist alles besser, als diese Mehrheit der Staaten zu ignorieren, die gemeinsam überlegen, wie man die Welt ein wenig sicherer machen kann.
Da Staaten wie die USA oder Russland eher Atomwaffen »modernisieren« wollen: Welche Schritte in Richtung schrumpfender Nukleararsenale können von solchen UN-Verhandlungen ausgehen?
Wenn die USA und Russland es ablehnen, heißt das ja nicht, dass die Mehrheit der Staaten diese Bedrohung nicht weiterhin beenden wollen. Nuklear gerüstete Staaten sehen dies übrigens ähnlich; meinen aber irrtümlich, mit einem bei ihnen selbst angesiedelten noch größeren Arsenal die weltweite Gefahr im Zaum halten zu können.
Wie groß ist die Gefahr?
Wissenschaftler und Experten bewerten jährlich die Gefahr mit Schwerpunkt auf nuklearen Risiken, Klimawandel und disruptiven Technologien neu. 2025 stellten sie die sogenannte »Doomsday Clock« näher auf einen möglichen Weltuntergang hin ein, weil die Staats- und Regierungschefs und ihre Gesellschaften keine nötige Kursänderung vornehmen. Russland und die USA verlängerten im Januar den »New Start«-Vertrag nicht, ein Abkommen zur Verringerung strategischer Waffen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij warnte, entweder die Ukraine komme in die NATO, oder sie werde Atomwaffen beschaffen. Einen Beitritt wird es nicht geben.
An diplomatischen Bemühungen für eine atomwaffenfreie Welt zeigt Berlin kein Interesse. Was erwarten Sie vom künftigen Kanzler Friedrich Merz und seiner Partei dahingehend?
Eine neu anvisierte Nuklearmacht Europas, initiiert von Deutschland und Frankreich, für die sich Merz offen zeigt, widerspräche der bestehenden internationalen Pattsituation. Das könnte dazu führen, dass andere Staaten ihrerseits ebenso anstreben, nuklear aufzurüsten.
Rufe aus dem militärisch-industriellen und politischen Raum nach deutschen Atomwaffen werden lauter. Angenommen, die nächste Bundesregierung würde das ernsthaft verfolgen: Was hätte das für Folgen?
All das steht entgegen einer völkerrechtlich bindenden Vertragssituation. Deutschland hat zwei Verträge unterzeichnet: den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, der 1970 in Kraft trat, und den »Zwei-plus-vier-Vertrag« nach der Wiedervereinigung 1990. Letzterer beinhaltet, dass Deutschland auf atomare, biologische und chemische Waffen künftig verzichten wird. Durch Missachtung würde sich die BRD auf eine Stufe mit Staaten wie Nordkorea stellen. Atomwaffen zu bauen bedeutet finanziell, eine monströse Maschinerie in Gang zu setzen. In der aktuell schwierigen Wirtschaftslage, in der Sozial- und Bildungsstandards heruntergefahren werden, ist das völlig unverantwortlich. Und es wäre eine existentielle Bedrohung für die Menschheit. Wir brauchen globales Verständnis dafür, dass Atomwaffen abgebaut werden müssen.
Christoph von Lieven ist Mitglied im Vorstand der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, ICAN Deutschland
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