Scharade in Lissabon
Von Fabian Linder
Angesichts zweier gescheiterter Misstrauensanträge im portugiesischen Parlament innerhalb kurzer Zeit hat Portugals Ministerpräsident Luís Montenegro vom konservativen Partido Social Democrata (PSD) am Mittwoch abend angekündigt, die Vertrauensfrage zu stellen. Der Ministerrat gab dafür am Donnerstag grünes Licht. Eine Debatte über die Vertrauensfrage und eine Abstimmung sind für kommenden Dienstag geplant. Montenegro, der mit dem Mitte-rechts-Bündnis Aliança Democrática nur eine Minderheitsregierung führt, ist auf wechselnde Mehrheiten angewiesen. Ein Sturz seiner Regierung nach der Vertrauensfrage ist daher wahrscheinlich. Vor allem, da mit dem sozialdemokratischen Partido Socialista (PS) und der extrem rechten Partei Chega zwei parlamentarische Kräfte, die über mehr als die Hälfte der Sitze verfügen, bereits angekündigt haben, dem Premier das Vertrauen zu verweigern. An einem von der Kommunistischen Partei (PCP) initiierten Misstrauensvotum, das am Mittwoch scheiterte, hatte sich der PS allerdings nicht beteiligt.
Im Mittelpunkt der Kritik an Montenegro stehen Vorwürfe, private Interessen und politische Funktionen vermischt zu haben. Die Opposition sieht es als erwiesen an, dass eine Beratungsfirma der Familie Montenegros beim Abschluss von Geschäften von der Position des Präsidenten profitiert habe. PCP-Generalsekretär Paulo Raimundo begründete den Antrag seiner Partei gegen die Regierung damit, dass die bisherigen Äußerungen des Premiers nicht zur Klärung der Vorwürfe beigetragen hätten. Raimundo verwies dabei auch auf die generelle Kritik an der gegenwärtigen Regierung, deren Politik ein Angriff auf soziale Rechte sei.
Bei einer Niederlage Montenegros könnten bereits im Mai – und damit zum dritten Mal in drei Jahren – vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Montenegro kündigte für diesen Fall an, erneut als Kandidat anzutreten. Ob es dazu jedoch kommt, ist ungewiss. In der Regierungskoalition scheint der Rückhalt für Montenegro zu bröckeln. Seit Donnerstag wird mit Pedro Passos Coelho der ehemalige konservative Ministerpräsident von 2011 bis 2015 im PSD als möglicher Nachfolger gehandelt.
Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa nannte den 11. oder 18. Mai als mögliche Termine für eine Neuwahl. Er kann nach einem Regierungssturz zwar andere Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Das ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament jedoch unwahrscheinlich. Anders als bei den vorgezogenen Neuwahlen 2022, bei der der PS unter dem damals regierenden Premierminister Antonio Costa eine absolute Mehrheit errang, brachten die vorgezogenen Neuwahlen vor einem Jahr keine stabilen Mehrheitsverhältnisse. Eine Parlamentsmehrheit bestünde nur, wenn entweder die beiden großen Volksparteien koalierten oder die faschistische Chega mit einer der beiden Volksparteien ein Bündnis einginge. Alle diese Szenarien sind jedoch unwahrscheinlich. Umfragen, die der private katholische Rundfunksender Rádio Renascença regelmäßig veröffentlicht, zeigten nach Ankündigung der Vertrauensfrage zunächst keine großen Änderungen bei der Zustimmung zu den einzelnen Parteien. Zwar würde Montenegros PSD mit einem knappen Zugewinn sowie geringem Vorsprung vor dem PS die Wahlen für sich entscheiden. An eine stabile Regierung wäre dabei aber nicht zu denken.
Montenegro trat am Donnerstag in Brüssel während des Treffens der EU-Staatschefs zur Ukraine vor die Presse. In Richtung seiner EU-Amtskollegen betonte er zur Begründung der Vertrauensfrage, dass angesichts der Herausforderungen in Europa eine stabile portugiesische Regierung unerlässlich sei. Kritiker vermuten hinter Montenegros angesichts der beiden schon gescheiterten Misstrauensanträge überraschendem Schritt taktische Gründe. So sei davon auszugehen, dass durch Neuwahlen die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zu den Vorwürfen über die Aktivitäten seines Familienunternehmens verhindert werden soll. Mariana Mortágua vom linken Bloco de Esquerda warf Montenegro daher vor, »aus schlechten Gründen« die Neuwahlen zu forcieren.
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