Mediziner gefoltert
Von Helga Baumgarten
Husam Abu Safija, Arzt und Direktor des Kamal-Adwan-Krankenhauses in Beit Lahia im Norden Gazas, wird nach wie vor im Gefängnis Ofer im besetzten Westjordanland festgehalten. Oneg Ben Dror von »Physicians for Human Rights Israel« (PHRI, Ärzte für Menschenrechte – Israel) berichtete mir, dass es keine neuen Informationen über seine Lage gebe. Sein Rechtsanwalt konnte ihn vor etwa zwei Wochen kurz sehen. Seit der Zerstörung des Krankenhauses und der Verschleppung Abu Safijas am 27. Dezember wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Er ist aber offensichtlich kontinuierlich brutal geschlagen, ausgehungert, gefoltert und in Einzelhaft gehalten worden – und das ohne jegliche medizinische Versorgung.
Damit ist er kein Einzelfall. Abu Safija steht beispielhaft für zahllose Ärzte und Krankenpfleger. Israel hat seit Beginn des Völkermordes in Gaza im Oktober 2023 Hunderte von ihnen verhaftet, meist direkt weg vom Operationstisch oder von der Arbeit im Krankenhaus. Mehr als 70 Ärzte und medizinische Mitarbeiter wurden bis heute in israelischer Haft getötet, genauer gesagt: Sie sind durch systematische Misshandlung zu Tode gefoltert worden.
PHRI hat im Februar einen umfassenden Bericht über den Umgang Israels mit Ärzten und medizinischem Personal aus Gaza vorgelegt. »Ungesetzlich festgehalten, gefoltert und ausgehungert: Die verzweifelte Lage des medizinischen Personals aus Gaza in israelischer Haft« lautet der Titel. Der Report basiert auf ausführlichen Interviews mit 24 Ärzten und Krankenpflegern in israelischer Haft, die von Rechtsanwälten der Organisation in diversen Gefängnissen und Gefangenenlagern durchgeführt wurden: in Sde Teiman – auch das israelische Guantanamo genannt –, in Ketziot, Ofer und Nafha. Eine der beiden Autorinnen ist Oneg Ben Dror. Sie hat mir ausführlich über die Arbeit an der Untersuchung und die Ergebnisse berichtet.
Sobald Soldaten erführen, dass ein Gefangener Arzt ist, wird er mit besonderer Brutalität behandelt und zusammengeschlagen, in den Jeeps, in denen er ins Gefangenenlager gebracht wird, oder eben dort: »Als sie uns zum Verhör brachten, drohten sie mir, meine Finger abzuhacken, weil ich Zahnarzt bin«, beschreibt es einer der ehemaligen Gefangenen. Über die Verhältnisse im Gefangenenlager Sde Teiman und die dort verübte Folter berichtet ein anderer: »Drei Tage lang stürmten Soldaten der Einheit 100 das Lager mit Hunden, sie schlugen die Gefangenen, ließen die Hunde auf sie urinieren und defäkieren. Seit meiner Verhaftung und bis vor wenigen Tagen (also etwa vier Monate lang, jW) war ich gefesselt mit einer Binde um die Augen. Wir mussten entweder knien oder sitzen, was zu schlimmen Wunden führte.«
Auch sexualisierte Gewalt gehörte dazu. »Ein Soldat machte sich lustig: ›Du bist es doch, der vergewaltigt wurde.‹ Der Misshandelte war inzwischen schwer depressiv. An einem Tag hetzten die Soldaten Hunde auf ihn, schlugen ihn zusammen, schlugen ihm auf den Kopf – er war sofort tot.« Der Bericht betont jedoch, dass Sde Teiman keine Ausnahme, sondern als einziges israelisches Gefängnis zu einer internationalen Welle der Empörung führte. Die anderen Gefängnisse und Gefangenenlager sind ebenso grausam in ihrer Misshandlung und in ihrer Folter. Der im August veröffentlichte Bericht der Organisation B’tselem »Willkommen in der Hölle« spricht von einem ganzen Netzwerk von Folterlagern.
Ein Chirurg erzählte PHRI von seiner Haft erst in Sde Teiman, dann in Ofer und Ketziot: »Überall wurden wir brutal mit Stöcken geschlagen. Sie attackierten uns mit Hunden und schütteten kochendes Wasser über uns, es gab schlimme Verbrennungen. Ich weiß, dass sie Gefangene vergewaltigt haben, indem sie Stöcke in ihren After einführten.« In Ofer wiederum erwarten die Inhaftierten ein Verhörraum, drei mal drei Meter groß, extrem helle Beleuchtung und ununterbrochene Beschallung mit ohrenbetäubender Musik, 24 Stunden lang täglich. Ein Krankenwagenfahrer wurde dort eine Woche lang festgehalten. »Ich wurde derart geschlagen, dass meine Zahnfüllungen herausfielen. Sie schütteten kaltes Wasser über mich, schlugen mich mit einem Handy auf den Kopf und prügelten mich fast zu Tode. Und sie drohten mir, meine Familie und meine Eltern zu misshandeln.« Keiner der Verhafteten wurde je formal angeklagt oder gar verurteilt.
Israel verstößt in allen Punkten gegen internationales Recht, angefangen von den Genfer Konventionen bis hin zum Rom-Statut, das es unterzeichnet, aber nicht ratifiziert hat: Die Verhaftung der Mediziner und Krankenpfleger und ihre Folter in israelischen Gefängnissen konstituieren ein klares Kriegsverbrechen. PHRI fordert deshalb die internationalen Institutionen und die Weltöffentlichkeit auf, dagegen zu protestieren. Sie müssten mit Druck von außen diese Kriegsverbrechen stoppen und vor allem auf der sofortigen Freilassung aller bestehen.
Der Bericht von PHRI: kurzlinks.de/PHRI-Bericht
Dies ist der 29. »Brief aus Jerusalem« der emeritierten Professorin für Politik der Universität Birzeit.
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