Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 10.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Gespräch und Geschwätz

Zum Tod des Theatermachers Wolfgang Engel
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Wolfgang Engel ist tot. Er starb am Freitag im Alter von 81 Jahren, wie das Theater Leipzig, das er von 1995 bis 2008 geleitet hatte, am Sonntag mitteilte. In der BRD galt Engel als einer der wichtigsten Theatermacher der DDR. Das kam so: Am 13. August 1943 in Schwerin als Sohn einer Verkäuferin und eines Beamten geboren, absolvierte Engel nach dem Abitur eine Schauspielausbildung am Mecklenburgischen Staatstheater, war dort bis 1974 Bühnenarbeiter, Schauspieler, Regieassistent und Regisseur. Dann zog es ihn an die Landesbühnen in Radebeul, schließlich 1980 ans Staatsschauspiel in Dresden, wo er Teil des Leitungsteams wurde.

Dort begann seine beste Zeit, er inszenierte Heiner Müller, aktualisierte Schillers »Maria Stuart«, Goldonis »Diener zweier Herren« oder Kleists »Penthesilea«, auch die eindrückliche DDR-Erstaufführung von Becketts »Warten auf Godot«. Gern subversiv sozialismuskritisch, was künstlerisch nicht schlecht oder falsch sein muss, doch natürlich im Westen gut ankam: 1988 wurden seine »Nibelungen« in Düsseldorf ein großer Erfolg. Im Jahr darauf lehnte er gratismutig den Nationalpreis ab, schrieb eine Resolution, in der es hieß: »Wir haben die Pflicht, von unserer Partei- und Staatsführung zu verlangen, das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen.« Seine »Faust«-Inszenierung arbeitete er 1990 immer wieder um, konsequenterweise hing schließlich ein riesiger 1.000-DM-Schein im Zentrum der Kulissen.

Als der Sozialismus Geschichte war, spülte es Engel nach Frankfurt am Main, Wien, Zürich. Von dort ging es nach Leipzig, wo er zum Einstand Peter Handkes »Die Stunde da wir nichts voneinander wussten« gab, ein Stück ohne Text. Cooler Move. Aufsehen erregte er auch mit einem siebenstündigen »Faust« und einem achtstündigen »Wallenstein«, als »Feldzug durch Leipzig« an historischen Orten. Nach 13 Jahren strich er mangels Publikumsinteresse die Segel und wurde freier Regisseur, adaptierte 2010 etwa Tellkamps »Turm« in Dresden. 2011 erhielt Engel für sein Lebenswerk den deutschen Theaterpreis »Der Faust«, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse hatte er 1999 angenommen. 2012 unterschrieb er das #ActOut-Manifest, ein kollektives Coming-out von LGBTQ+-Künstlern.

Heute hat man im Ohr, was Engel zum Abschied aus Leipzig der dpa sagte: »In Zeiten des Mangels ist es wichtig, besonders viel Theater zu machen. Denn das Theater ist einer der letzten Kommunikationsorte. Hier kommen Alt und Jung zusammen und miteinander ins Gespräch.« Dass das nur unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen als den vorherrschenden wirksam ist, davon zeugt nicht zuletzt sein eigenes Werk. (pm)

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