Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Popkultur

Kleister kostet nicht viel

»Zwischen Wand und Tapete«: Das fünfte Album der Rostocker Radikalrapper Waving the Guns
Von Norman Philippen
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Waving the Guns im August 2019 in Oberhausen-Osterfeld

Wer von der Wand bis zur Tapete denkt, denkt zu kurz und so klar wie Kleister. Tut also gut daran, sich mit dem Kopf durch den Beton, wenigstens dessen Belag (im Wortsinn, also wurzelmäßig) herauszuradikalisieren, um kognitiv keinen Schimmel anzusetzen und den Dingen auf die Struktur zu kommen. So in etwa hat sich das wohl Rapper Milli Dance gedacht, dessen – »Nicht nur ihr habt euch radikalisiert«/»Mitte 30 und ich radikalisier mich grad« (»Intro: Radikalisiert«) – persönlicher Radikalisierungsprozess auf dem nun fünften Album von Waving the Guns vertont vorliegt.

Das startet in gemäß aktueller High­time akuter Hirnverkleisterung angemessener Ambivalenz, changiert zwischen choral intonierter »Rauszugehen hat keinen Zweck«-Resignation und in den gedoppelten Rap-Parts teuflisch düster heruntergepitchter »Ich greif die großen Häuser an«-Kampfansage. Was sich in der ersten Hälfte des Intros bereits andeutet, wird im Verlauf der zwölf neuen Tracks deutlich: Nicht nur Milli Dance’ Rapflow, auch seine bislang nur verhalten eingesetzte Gesangsstimme kann sich hören lassen.

Zu des Beatmasters Bryck dunkelbassigen Beats auf »Klebrig« reicht des millidancen Rostockers Rap, um über Taktenden zu flowen mit langen Lines wie »Heimatliebe heißt für mich, ich würd gern hier mit meinen Lieben ohne Angst vor einem Krieg oder dass es nicht mehr reicht für Miete weiterleben«. Den zwischen Wand und Tapete denkenden Klebrigen wird auch im via lichterer Beats und Samples tonal aufgehellten Track »Bigotterie« der Handschlag verweigert. Auch und vor allem den Linken, die ohne Klassenbegriff kämpfen wollen: »Und der Luxus der Reichen, er wird verteidigt, als wär er deiner / Und der Typ, der für dich täglich Dienst leistet, er wird beleidigt, als wär er keiner«. Ums Geheuchel der Klebrigen vs. »Klimakleber« geht es, um »Gehetze und Häme« statt »Ich setz mich hin und rede«, und um »wenn man Gettos errichtet, dann gibt es Gettoprobleme«. Aber: »Nein, es ging nie ums Vermummen / Sondern nur darum, dass das Lachen nicht gefriert.« Denn: »Der Kapitalismus spielt Lotterie / Und die Gewinnerin heißt Bigotterie.«

Und sicher, das stimmt ja irgendwie. So wie die Forderung »Steh mal ein für christliche Werte und Anstand« ein »Und so fang ich eine Schlägerei mit euch am Glühweinstand an« irgendwie rechtfertigt. Jedenfalls im Rap, der (mit und) ohne große Fresse auch hierzulande sonst redundant ist. Recht berechtigt steht die Frage: »Ab wieviel Kerzen wird’s romantisch? / Wieviel Friedrich Merze braucht’s, dass es in dei’m Verstand klickt? / Millionäre ziehen nicht mit dir an einem Strang mit.«

So weit, so Reichinnek/van Aken. Die auf Tik Tok zu Zeilen wie »Eine Krähe stört die andre nicht beim öffentliche Gelder in Privatbesitz verwandeln / Es gibt Tafelspitz und andres, das die Sieger verwöhnt / Da hängen Kabel in die Wanne, dennoch Miete erhöht« schon schön mitnicken könnten. Die Spitze »gemeinsam mit sozialdemokratischem Rückgrat« könnte die Die-Linke-Spitze auch locker weglächeln. Denn, so sehen sie es offiziell auch, »denn wirklich asozial ist es, wenn Leute Milliarden besitzen«. Klar auch: »Hüte dich vor den Iden des März / Und noch viel mehr vor den Ideen des Merz.« Doch spätestens ab … nein, auch da könnten sie versuchen mitzusummen: »Und dann sing so laut du kannst, nur bei der Vernehmung nicht, bis das Jugendwort des Jahres ›Arbeiterverräter‹« ist. Zu »Ja, hier wird die SPD gedisst, bis das Jugendwort des Jahres ›Arbeiterverräter‹ ist« sowieso. Kostet ja nicht viel.

Auf Vinyl ist das Ganze trotz innovativ bedruckter Innenhülle für unter 30 Euro zu haben. Die man als interessierter Habenichts solidarisch natürlich nicht haben muss, um »Zwischen Wand und Tapete« zum Beispiel auf Youtube anzuhören. Um sich vielleicht zu entschließen, die mit den acht Tracks der EP »Schwerter zu Schusswaffen« bewehrte CD zu kaufen.

Jedenfalls »sei stets wachsam, mein Lieber, sie versuchen dich zu infizieren mit nationalem Fieber / Doch das Vaterland ist nur dazu da, dass dein Tatendrang sich nicht gegen die richtet, die von Armut profitiert ham«. Hört man das Album nicht weiter an, bleibt ungewiss, ob noch was kommt, was die Reichinnek und der van Aken vielleicht nicht unterschreiben könnten. Oder gibt es da gar nichts? Müsste man mal nachhören, da diese schäbige Rezension allenfalls zur Hälfte teasert.

»Facettenreich geben sich hochqualifizierter Rap und harmoniebegeisterter Gesang die Klinke in die Hand«, meint jedenfalls der Pressetext. Nach »Soundtrack des zivilen Ungehorsams« hört sich WTG für den Musikexpress an. Die junge Welt nennt das Album hiermit immerhin den musikalisch bisher besten WTG-Release und mag in den Befund einstimmen, dass ohne Klassenstandpunkt auskommendes Wokes nicht allzu wach zu nennen ist.

Waving the Guns: »Zwischen Wand und Tapete« (Audiolith/Broken ­Silence)

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