Talentiert, aber verwirrt
Von Frank Schäfer
Die Sixties-Beat-Truppe Silence ist noch ein bisschen überfordert von ihren Instrumenten, da bekommt sie ein Engagement in einem italienischen Ferienresort, wo sie sich nun Nacht für Nacht als Doc Thomas Group, klingt weltläufiger, Hornhaut an den Fingern erspielt und die richtigen Posen übt. Richtig los geht es allerdings erst, als sie nach London ziehen und ihr Repertoire in harten Blues Rock ummodeln. Gitarrist Mick Ralphs stellt den Kontakt zum Island-Label her. Dort ist man nicht uninteressiert, spricht aber auch aus, was vermutlich alle denken – Sänger Stan Tippins muss weg. Er wird dann Road Manager der Band. Den Job am Mikro bekommt ein Lockenkopf, der nicht mal unter der Dusche seine Sonnenbrille absetzt, diese hübsche Arroganz in der Stimme hat und noch dazu ganz leidlich Piano spielt.
Mit Ian Hunter geht es los. Die Ochsentour durch die Klubs hinterlässt verbrannte Erde. Songs wie »Rock ’n’ Roll Queen« oder die Instrumentalversion von »You Really Got Me« auf dem Debüt geben zumindest eine Ahnung davon, wie das allabendlich gedampft haben muss. »Mott The Hoople« oszilliert zwischen bluesgeerdetem Hard und dylaneskem Folk Rock und besetzt kurzzeitig sogar die billigen Plätze der UK- und US-Charts. Sie gehören jetzt zu den neuen UK-Hoffnungen Anfang der Siebziger, allerdings setzt sich diese »offenbar talentierte, aber verwirrte Band« (Rolling Stone-Kritiker Paul Nelson) so zwischen die Stühle, dass irgendwann nicht nur ihr Label, sondern auch beinahe sie selber die Geduld verlieren. Die beiden Nachfolger »Mad Shadows« und »Wild Life« verkaufen sich in England gar nicht so übel, in den USA allerdings geht nicht viel, und als »Brain Capers« nicht mal mehr in den UK-Charts auftaucht, verlieren sie die Lust. Nach einem vergeigten Gig in Zürich stehen sie kurz vor der Trennung, aber dann nimmt sich David Bowie als Produzent ihrer an. Auf »All The Young Dudes« strafft er ihre Kompositionen, verputzt die musikalischen Brüche mit effektvollen Chören und großer Kapelle und schreibt ihnen auch noch einen Überhit auf den Leib.
Unter der mit Glitter bestreuten Oberfläche erkennt man dennoch die stilistischen Verwerfungen. Neben typisch theatralischen Mott-Rockern wie »Sucker« und »One Of The Boys« stehen das Stones-Plagiat »Jerkin’ Crocus«, Ian Hunters melancholische Pianoballade »Sea Diver«, die Bowies-Sidekick Mick Ronson mit einem String-Arrangement ins Melodramatische überformt, das schwiemelige Velvet-Underground-Cover »Sweet Jane« und mit »Ready For Love/After Light« ein trockener Riffer, den Gitarrist Mick Ralph bald darauf mit ein paar Kürzungen zu einem Bad-Company-Song ummodelt. Sie klingen eigentlich immer noch wie vier Bands, die Bowie hier unter dem Glam-Dach vereint. Und mit dem aufgeblasenen, sexuell uneindeutigen Titelsong »All The Young Dudes« trägt er sie auch noch eigenhändig über die Schwelle.
Jetzt beginnen die zwei, drei Jahre, in denen Mott the Hoople wirklich Champagner schlürfen. Während der anschließenden ausverkauften US-Tour, die sie mit einem Headliner-Gig beim Woodstock of the West Festival in Los Angeles krönen, schreibt Ian Hunter seinen eher nachdenklichen Insiderbericht »Diary of a Rock ’n’ Roll Star«. Das ist er tatsächlich jetzt. Ihre Folgealben »Mott« und »The Hoople« hauen in dieselbe Glam-Kerbe und verkaufen sich noch besser, sie haben weitere Hits (etwa »All The Way From Memphis« oder »Roll Away The Stone«), aber Ian Hunter ist längst durch. Er braucht eine Auszeit, von der er nicht mehr zurückkehrt. Gemeinsam mit Mick Ronson startet er 1974 seine Solokarriere. Mick Ralphs war zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst zur neuen Supergroup Bad Company gewechselt. Und so steht die Band auf einmal ohne Songwriter da. Der gute Name sichert ihnen immerhin noch die Subsistenz bis 1976.
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