Gute Hexen
Von Barbara Eder
Samstag abend im City Kino Wedding, vor vier Tagen hat hier das zehnte »Final Girls Berlin«-Festival begonnen. Vieles erinnert an ein Ladyfest der frühen Tage, ruft Reminiszenzen an eine feministische DIY-Kultur wach, die im Zuge der Riot-Grrrl-Bewegung der 90er Jahre aufgekommen war. Im Eingangsbereich befindet sich ein Bücherstand der Kreuzberger Buchhandlung Otherland, die auf Science-Fiction, Fantasy und Horror spezialisiert ist. Gleich daneben gibt es Witchcraft-Amulette und Ohrenschmuck aus Edelstahl. Zaubersprüche, die dazu passen, kann man online auf Etsy kaufen – ohne Garantie, doch stets mit unbegrenzter Reichweite.
Die Besucher im Foyer, darunter viele Horrornerds und Genrebegeisterte, warten nicht unbedingt auf den Auftritt von Bikini-Kill-Frontfrau Kathleen Hanna. Die für die Werke von Frauen, trans und nichtbinären Filmemacherinnen reservierte Kinoleinwand lockte mit anderen Highlights. Im Rahmen von zwölf Kurzfilmprogrammen und einigen Feature-Filmen werden Gender-Outlaws, Hexen und Ghule nicht länger gejagt, statt dessen blicken sie als selbstbestimmte Kreaturen souverän zurück: Die Liebesgeschichte zwischen »Final Girl« und Monster kann beginnen und weiter eine Tradition pervertieren, die mit Genreklassikern wie Clive Barkers »Hellraiser« (1987) und Tim Burtons »Edward mit den Scherenhänden« (1990) ihre Anfänge nahm.
Horror, das wurde an diesem Wochenende klar, ist eine feministische Waffe. Viele »Final Girl«-Figuren rächen nicht nur die an ihnen verübte Gewalt, sie üben diese auch aktiv aus. So etwa ging im Filmblock zu »Queer Horror« kaum eine Transition glatt, dafür gab es im Vorfeld aber die Triggerwarnung »castration«: In Dante Dammits Elfminüter »Tastes Like Pork« serviert eine trans Frau ihre Genitalien einer kannibalischen cis Frau. Menschenfleisch braucht viel Zeit zum Garen – und schmeckt am Ende doch nicht besser als eine Bratwurst mit Ketchup. In »Long Pork« von Iris Dukatt stand der Fleischkronenköchin eine Metzgerin zur Seite, die einen politisch einflussreichen Abtreibungsgegner ausweidet. Er zeichnet für den Tod ihrer im Selbstversuch verstorbenen Tochter verantwortlich. Die Mutter übt blutige Rache – ein filmischer Aufruf zur Rückeroberung reproduktiver Rechte, die im Post-Roe-Amerika in konservativen Bundesstaaten bereits vollends außer Kraft gesetzt sind. Statt dessen dominiert ein Mutterkult, den religiöse Fanatiker als »Sieg für das Leben« feiern. In Robyn Adams’ »The Estrogen Gospel« begleiten die Fanatiker eine trans Frau auf einem spirituellen Pilgerweg, der nur ins Verderben führen kann. In »It Came from Inside!« von Martinez Sandoval und Jackson Rees hingegen eskaliert ein harmloser Halloweenabend, als ein Paar auf eine geheimnisvolle Videokassette stößt, die eine unheilvolle Präsenz heraufbeschwört. Dabei geht es weniger um plakative Gewalt als um die tiefsitzenden Ängste vor dem Verlust männlicher Identität.
Horrorfilme handeln vom Fleisch als Ort der Transformation oder Bedrohung, selten aber von beidem zugleich. Der Programmblock »Sensory Overload« am Samstag nachmittag konfrontierte das Publikum mit Grenzerfahrungen, äußere Hüllen wurden durchlässig für ungewollte Einflüsse von außen. In »A Fermenting Woman« von Priscilla Galvez lief eine kulinarische Obsession mit Menstruationsblut aus dem Ruder, während »Mondegreen« von Linda Green mit akustischen Halluzinationen zwischen Realität und Wahn experimentierte. Besonders eindringlich wirkte »White Noise« von Tamara Scherbak, in dem eine junge Frau mit Misophonie – einer extremen Form von Geräuschempfindlichkeit – sich einer fragwürdigen Behandlung unterzieht. Ihr Gehör rückt ins Zentrum einer Versuchsanordnung, die unter die Haut geht – als konstantes Störgeräusch, das in den Höhen leicht zischelt und in den Tiefen dumpf brummt.
Dass sich das Festival auch als queer-feministisches Diskursforum versteht, haben die Workshops und Vorträge am Rande der Screenings bewiesen. In »That Very Witch: Fear, Feminism, and the American Witch Film« griff Payton McCarty-Simas am Sonntag nachmittag das Hexenmotiv in der Horrorkultur auf und analysierte, wie sich im Mythos weibliche Macht und patriarchale Angst reflektieren. Mit seiner Kinoadaption des Romans »Der Zauberer von Oz« schuf Victor Fleming 1939 die erste »gute Hexe« der Popkultur, in Elizabeth Sankeys Dokumentarfilm »Witches« hingegen darf sie wieder böse sein – als Mutter mit postpartaler Depression, die ihre Kinder verwünscht.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Federico Rios Escobar08.03.2025
Unersetzbare Gemeinschaft
- Florian Boillot20.01.2025
Fabio De Masi zum Fall Gelbhaar: »Parabel über die Fallstricke öffentlicher Pranger«
- Edith Anderson Estate14.01.2025
Pionierin aus der Fremde
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Kleister kostet nicht viel
vom 12.03.2025 -
Abeßer, Kühn, Kommerell, Hagen, Rosenberg
vom 12.03.2025 -
Talentiert, aber verwirrt
vom 12.03.2025 -
Goscinnys Lieblingssünde
vom 12.03.2025 -
Rotlicht: Sophistik
vom 12.03.2025 -
Nachschlag: Abschlachten mit Herz
vom 12.03.2025 -
Vorschlag
vom 12.03.2025 -
Veranstaltungen
vom 12.03.2025