»Der Wachdienst war einigermaßen machtlos«
Interview: Annuschka Eckhardt
Vergangenes Wochenende wurde eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete im brandenburgischen Stahnsdorf angegriffen. Ein Beschäftigter des Wachdienstes wurde verletzt. Ist die Unterkunft ausreichend vor Angriffen geschützt?
Sowohl die Verletzungen der angegriffenen Person als auch der Sachschaden, der direkt am Gebäude verursacht wurde, sprechen hier ja im Grunde für sich: Nicht nur konnten die Täter ungehindert das Gelände betreten und bis zum Wohngebäude vordringen. Auch der Wachdienst war offenbar gegenüber den Angreifenden einigermaßen machtlos. Im Nachgang des Angriffs wurden auch von den Verantwortlichen erhebliche Sicherheitsmängel erkannt, und es wurde über notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit diskutiert – sei es eine angemessene Beleuchtung des Geländes oder die Bereitstellung eines ausreichenden Wachschutzes. Die Unterkunft in Stahnsdorf dürfte dabei keine große Ausnahme darstellen. Hier besteht vielerorts erheblicher Nachholbedarf.
Welche politischen Konsequenzen wurden bislang angekündigt und/oder umgesetzt?
Eine verstärkte Diskussion über die Notwendigkeit, die Sicherheit in Unterkünften zu erhöhen, ist seit dem Angriff in Stahnsdorf durchaus zu vernehmen. Entscheidend ist nun aber, dass solche Überlegungen ernsthaft und nachhaltig weitergeführt und dann auch tatsächlich konsequent umgesetzt werden. Gleichzeitig sind von seiten der Politik bisher nur enttäuschend wenig öffentliche Stellungnahmen zu verzeichnen, die den Angriff klar verurteilen und den Betroffenen ihr Mitgefühl aussprechen. Es ist wichtig, dass endlich unmissverständliche Worte aus der Politik folgen. Extrem rechte Gewalttaten dürfen nicht ausgesessen, relativiert oder verharmlost werden. Wir appellieren an die Landespolitikerinnen und Landespolitiker, solche Gewalttaten öffentlich entschieden zu verurteilen. Hier braucht es ein deutliches gesellschaftliches Signal: Brandenburg duldet keine rassistische Gewalt, und der Schutz für geflüchtete Menschen wird ernst genommen!
Wie geht es den Bewohnern der Unterkunft nach der Attacke? Welche Auswirkungen hatte der Angriff auf Erwachsene und Kinder?
Aus unseren Gesprächen vor Ort wissen wir, dass die Bewohnerinnen und Bewohner verängstigt und in Sorge vor weiteren Angriffen sind. Viele berichten von Schlafstörungen, erhöhter Anspannung und Schreckhaftigkeit. Einige wollten in den Tagen nach dem Vorfall aufgrund von Ängsten nicht in der Unterkunft schlafen. Solche Symptome können im Rahmen einer akuten Belastungsreaktion nach Gewalterfahrungen auftreten. Menschen, die in der Vergangenheit traumatische Erfahrungen gemacht haben, haben ein erhöhtes Risiko für diese Stressreaktion und benötigen daher besonderen Schutz und Unterstützung, um diese Situationen zu verarbeiten. Das gilt insbesondere für Kinder, die sensibel darauf reagieren, wenn ihre Eltern verängstigt sind. Sie leiden unter Alpträumen und verarbeiten das Erlebte oft psychosomatisch, entwickeln zum Beispiel Bauchschmerzen. Es braucht daher neben Sicherheitskonzepten in der Unterkunft niedrigschwellige psychologische Beratungsangebote.
Was begünstigt solche Angriffe?
Ein politisches Klima, in dem die Politik mit schlechtem Beispiel vorangeht, schutzsuchende Menschen gebetsmühlenartig als Sündenböcke für hausgemachte Probleme brandmarkt und sie immer wieder pauschalisierend unter Generalverdacht stellt, ebnet letztlich auch den Weg dafür, dass geflüchtete Menschen in Brandenburg zunehmend rassistischen Anfeindungen, Hetze und Gewalt ausgesetzt sind.
Nicht zuletzt trägt auch die in Brandenburg vorherrschende Form der Unterbringung von schutzsuchenden Menschen in Sammelunterkünften und deren parallele Stigmatisierung und symbolpolitische Aufladung dazu bei, dass solche Unterkünfte vielfach zum Hassobjekt und zur Zielscheibe rechter Angreifer werden.
Rola Saleh ist Mitarbeiterin beim Flüchtlingsrat Brandenburg
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