Risikoreiche Lebensmittel
Von Oliver Rast
Regeln aufweichen, Regeln brechen – kurz: deregulieren. Bei der Gentechnik in der Landwirtschaft, bei der Nahrungsmittelerzeugung. Das wollen die EU-Kommission und die aktuelle polnische Ratspräsidentschaft durchsetzen. Am Freitag ein weiterer Etappenerfolg für die Deregulierer. Auf der Sitzung im Ausschuss der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten (AStV) in Brüssel erhielt der Kommissionsvorschlag für eine novellierte Gentechnikverordnung vom Juli 2023 eine qualifizierte Mehrheit. Damit können die sogenannten Trilogverhandlungen, also Gespräche zwischen Kommission, Rat und EU-Parlament über die Verordnungsnovelle beginnen.
Worum geht es dabei? Um einen Vorschlag zu sogenannten neuen genomischen Techniken (NGT), sprich zu gentechnisch manipulierten Pflanzen, Lebens- und Futtermitteln. Ein Vorhaben, über das bereits seit knapp zwei Jahren auf EU-Ebene in verschiedenen Gremien beratschlagt wird. Aber ein mehrheitliches Pro-Votum der nationalen EU-Vertreter hätte es aus Sicht zahlreicher Bauernorganisationen und Umweltschutzverbände erst gar nicht geben sollen. Sie lehnen den Kommissionsvorschlag ab. Strikt. So fordern etwa die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) seitens des EU-Rats, die Novelle fallenzulassen. Trotz mehrfach modifizierten Vorschlags bleiben die Gefahren groß. Zu groß. Denn es fehle weiterhin eine »transparente Kennzeichnung auf Saatgut und Lebensmitteln oder die verpflichtende Risikoprüfung für alle NGT-Pflanzen«, teilte der BUND am Donnerstag mit. Die Folgen für die Umwelt wären »potentiell schwerwiegend«.
Deutlicher reagierte die AbL-Bundesvorsitzende Claudia Gerster. Gentechpflanzen ohne umfassende Prüfung auf den Markt zu bringen sei eine Hochrisikostrategie und untergrabe das Vorsorgeprinzip der EU. »Wer haftet, wenn es doch Schäden für Gesundheit, Umwelt oder unsere Ernten gibt?« Landwirte, Züchter und Erzeuger opponieren, wollen nicht die Zeche zahlen für die Profite der Gentechnikkonzerne, betonte Gerster. Bestehende Märkte und Wettbewerbsvorteile, wie die konventionelle und ökologische gentechnikfreie Saatgut- und Lebensmittelerzeugung, müssten geschützt werden, statt sie mutwillig zu zerstören. Und weiter: Patente auf Pflanzen und Tiere seien zu stoppen, »um eine breite Züchterlandschaft zu erhalten und den freien Zugang zu Saatgut zu gewährleisten, die Grundlage unserer Ernährungssouveränität«. Es brauche wirksame Koexistenzregeln, die Verunreinigungen des Saatguts und der Ernten sicher verhindern.
Ferner brauche es ein Regelwerk für eine gegebenenfalls juristische Haftung, »die die Verursacher, also die Inverkehrbringer von NGT-Pflanzen, in die Pflicht nehmen«. Und nicht zuletzt wollten bäuerliche Betriebe ihre unternehmerische Freiheit behalten und selbst darüber entscheiden könne, »wie wir wirtschaften und welche Produkte wir anbieten«. All dies würde durch den geplanten Gesetzentwurf abgeschafft, deshalb sei dieser ad acta zu legen. Punktum.
Wie geht es weiter? Nun, mit dem »positiven Stimmungsbild« zur Novelle und der Aufnahme des Trilogs sei noch nichts final entschieden, beruhigte der BUND. Denn in den Verhandlungen gäbe es noch Spielraum samt »Chancen für Verbesserungen bei riskanten Punkten des Kommissionsentwurfs«.
Fraglich, die Zuversicht. Denn die Lobbyisten der Agrogentechnik dürften nicht lockerlassen. Vor allem, was die konventionelle Landwirtschaft betrifft. Denn 99,9 Prozent des konventionellen Getreides, Gemüses, Obstes und der Futtermittel würden in Europa gentechnikfrei angebaut, weiß Gerster von der AbL. Um so mehr müsse das Recht auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft gestärkt werden, müsse die konventionelle und die ökologische reguliert bleiben. Rigoros.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ronald B. aus Kassel-NORD! (16. März 2025 um 13:58 Uhr)Nicht »riskoreich« sondern »risikoreich« hätte es in der Schlagzeile dieses Artikels heissen müssen.
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