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Aus: Ausgabe vom 15.03.2025, Seite 10 / Feuilleton

Ballade von der Öztaler Höhe

Von Thomas Gsella

Ich trampte mal von Hamburg nach Venedig,

Und in der dritten Nacht sprach mein Gefühl:

»Dein Körper ist so mancher Ruhe ledig.«

Öztaler Alpenmonde leuchten kühl.

*

Das Tier lebt ohne Zeit, der Mensch darf hoffen.

Ich lief bergab, der Mond sprach: Es ist vier,

Da, plötzlich, dies Hotel. Die Tür war offen,

Sperrangelweit, als gäb es keine Tür.

*

Ein freier Schlafplatz! Eingehüllt in Daunen,

Die Liege wie aus Stein. Gern schlaf ich hart,

Doch machte diese Härte mich kurz staunen.

Dann ging mein Traum von Autos, und es trat

So mancher Mensch ganz nahe an mein Bette.

Bald füllten Kaffeedüfte diesen Traum,

Als ob er in den Tag gewechselt hätte.

*

Die Sonne weckte mich in einem Raum,

Der ohne Wand war und zum Himmel reichte,

Nur eine Tür. Die ging zum Frühstückssaal.

Ein Blick auf das Buffet, und ich erbleichte:

Wie ungeheuer die Produktauswahl!

*

Ein Currywürstchen ist ein Baucherfrischer,

Ein Pappkaffee die beste Herzarznei.

Es gab auch Öl und Autoscheibenwischer,

Doch meine Übernachtung: kostenfrei!

*

So hab ich mich bei der Rezeptionistin

Mit einem bunten Wortestrauss bedankt.

Doch war sie die weit größere Stilistin

Und sprach vollendet: »Haben Sie getankt?«

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