Leben im Exil
Von Matthias Reichelt
»Ellen Auerbach und Lea Grundig – Zwei Künstlerinnen in Palästina«, Museum Eberswalde, bis 27.4.2025
Die Fotografin Ellen Auerbach, 1906 als Ellen Rosenberg in einer säkularen jüdischen Familie in Karlsruhe geboren, betrieb mit Grete Stern in Berlin das Fotostudio »ringl + pit«. Beide mussten nach der Machtübergabe an die Nazis Deutschland verlassen. Während Stern nach Argentinien auswanderte, gelangte Rosenberg mit einem von Grete Stern finanzierten »Kapitalistenzertifikat« 1933 nach Palästina, das sie nur drei Jahre später mit ihrem Mann, dem Bühnenbildner und Marxisten Wolfgang Auerbach, wieder in Richtung England und später die USA verließ. Rosenberg besaß weder Hebräisch- noch Englischkenntnisse und bediente sich ausschließlich ihrer Kamera, um sich mittels Fotografie und Film dem Land unter britischem Mandat und den dort lebenden Juden sowie der arabischen Bevölkerung zu nähern. Berührende Porträts von jüdischen Bauarbeitern und Kindern, arabischen Händlern, Schuhputzern und Arbeitern sind Belege für Auerbachs offenen Blick auf die für sie völlig neue gesellschaftliche Situation. Auch Landschaften, Stadtansichten, religiöse Feste und eindrucksvolle Strandszenen, wie die von einem kleinen Jungen, der verwundert auf die Kamelkarawane am Meer blickt, geraten in ihren Fokus. Wie einem Beitrag von Rosa von der Schulenburg im Ausstellungskatalog zu entnehmen ist, wurde die Kamera nach der Ankunft aus Rosenbergs Gepäck gestohlen, und der noch in Deutschland verbliebene Lebensgefährte Walter Auerbach sandte ihr eine Leica nach. Bei einer zweiten Passage nach Palästina, nach dem Besuch ihrer Fotostudiopartnerin Grete Stern in London, kehrte Rosenberg von Triest aus nach Jaffa zurück und fing die Atmosphäre auf dem Schiff, der »Patria«, mit einer 16-Millimeter-Filmkamera ein, darunter auch ein Gespräch des Bauhaus-Architekten Erich Mendelsohn mit Chaim Weizmann.
Mendelsohn entwarf viele Bauten in Tel Aviv, bevor er später in die USA ging. Chaim Weizmann wurde 1949 zum ersten Präsidenten Israels gewählt. In einem zweiten Film dokumentierte Rosenberg die »weiße Stadt« Tel Aviv als einen von moderner Architektur geprägten Ort. Auerbach hatte »nie zionistische Ideale verfolgt« und sich von »ihren familiär geprägten jüdischen Wurzeln gelöst«, wie ihre Biographin Inka Graeve Ingelmann im Katalog zitiert wird.
Lea Grundig, 1906 in der orthodox-jüdischen Familie Langer in Dresden geboren, hatte als Jugendliche zwar der zionistischen Vereinigung Blau-Weiß angehört, heiratete als Studentin, gegen den Willen der Eltern, den Goj Hans Grundig und trat in den späten 20er Jahren in die KPD ein. Sie war nicht nur als Jüdin gefährdet, sondern wurde auch als Kommunistin verfolgt. Sie verbüßte diverse Haftstrafen, bevor sie von der Jewish Agency for Palestine kurz vor der bevorstehenden Deportation nach Ravensbrück freigekauft werden konnte und noch am selben Tag, dem 13. Februar 1940, ausreisen musste.
Während Hans Grundig ins KZ Sachsenhausen kam, emigrierte Lea über Prag und Bratislava und von Tulcea in Rumänien mit der »Pacific« nach Palästina und schuf auf den diversen Etappen der langen Reise beeindruckende Porträts von anderen Flüchtlingen. Vor der Küste Palästinas wurden die Passagiere auf die dort ankernde »Patria« umquartiert und sollten weiter nach Mauritius verschifft werden. Bei einem Anschlag der Haganah auf das Schiff, um das Verbleiben der Jüdinnen und Juden in Palästina zu erzwingen, fanden Hunderte von Menschen den Tod. Lea Grundig überlebte unverletzt und verbrachte fast ein Jahr im britischen Internierungslager Atlit bei Haifa, wo sie unter anderem Porträts der Insassen zeichnete, die sie in der Waschbaracke des Lagers ausstellte. Grundig lebte danach bei ihren Angehörigen und in Kibbuzim, illustrierte hebräische Kinderbücher, hatte Ausstellungen und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei Palästinas, die sich für einen gemeinsamen Staat für Juden und Palästinenser einsetzte. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sie in ihren großartigen Porträts nicht nur Kibbuz-Arbeiterinnen und -Arbeiter darstellte, sondern auch arabische Frauen und Männer zeichnete.
1942/1943 begann sie, basierend auf Berichten von Emigranten und aus Zeitungen, mit Zeichnungen, die das Leiden der Juden und Jüdinnen unter den Nazis zeigen. Als Buch erschien es in englischer und hebräischer Fassung und 1947 in Dresden auf deutsch unter dem Titel »Im Tal des Todes« mit einem begleitenden Text von Kurt Liebmann. Darin findet sich die Zeichnung eines Güterzugs mit einem Berlin–Lublin beschrifteten Waggon, beladen mit zusammengepferchten toten Jüdinnen und Juden. Zwei weitere Zyklen an Zeichnungen »Ghetto und Ghettoaufstand« und »Niemals wieder« folgten.
Obgleich Grundig, die wenige Monate nach der Staatsgründung Israels im November 1948 Palästina verließ und 1949 nach Deutschland in die DDR zurückkehrte und dort öffentliche Funktionen übernahm, wurden ausgerechnet ihre Schoah-Darstellungen als »Kult des Hässlichen« in der Formalismusdebatte angeprangert. Lea Grundig hat bis zu ihrem Tod in der DDR starke Kontakte zu Freunden in Israel gepflegt, kritisierte aber auch den zionistischen Nationalismus.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Christophe Gateau/dpa26.02.2025
Staatliche Machtdemonstration
- imagebroker/IMAGO31.01.2025
»Sie entwickeln Technologie für die Armee«
- privat15.01.2025
Grundprinzipien aufgegeben
Mehr aus: Feuilleton
-
Ballade von der Öztaler Höhe
vom 15.03.2025 -
Schießen Sie auf den Pianisten
vom 15.03.2025 -
Goldene Zeiten, ihr Lappen!
vom 15.03.2025 -
Nachschlag: Heartbreak Hotel
vom 15.03.2025 -
Vorschlag
vom 15.03.2025 -
Veranstaltungen
vom 15.03.2025