Schüsse statt Hilfe
Von David Maiwald
Am Dienstag morgen starb ein 61jähriger Mann in Darmstadt. Getötet wurde er durch Schüsse der Polizei, wie das zuständige Polizeipräsidium Südhessen am Mittag mitteilte. Bei dem Opfer sollte eine gerichtlich verordnete Hilfe geprüft werden. Wer eigene Angelegenheiten nicht selbst regeln kann, dem soll eine gesetzliche Betreuung helfen. Wer psychisch erkrankt ist, geistig oder körperlich beeinträchtigt, oder womöglich dement wird, soll so unterstützt werden, noch die eigenen Interessen vertreten zu können.
Der Mann wurde demnach gegen 8.30 Uhr von einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes in Begleitung einer Polizeistreife aufgesucht, wollte diese aber nicht in seine Wohnung lassen. Durch ein geöffnetes Fenster habe er dann »eine Schusswaffe gezeigt und möglicherweise auch verwendet«, teilte die Polizei Südhessen weiter mit. Die Beamten hätten daraufhin von ihren Schusswaffen Gebrauch gemacht und den Mann dabei so stark verletzt, dass er trotz Rettungsmaßnahmen noch vor Ort verstarb. Ob er die Waffe wirklich nutzte, wird dem Präsidium zufolge noch ermittelt. Sowohl die Polizisten als auch die Sozialdienstmitarbeiterin blieben der Polizei zufolge unverletzt. Das hessische Landeskriminalamt habe die Ermittlungen übernommen.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt teilte auf Anfrage am Dienstag mit, der Sozialdienst habe eine Anordnung des Betreuungsgerichts vollstrecken sollen, um eine mögliche gesetzliche Betreuung zu prüfen. »Der ist seltsam geworden, hat oft mit sich selbst gesprochen und auch mal herumgeschrien.«, zitierte Springers Bild schon am Nachmittag eine Nachbarin des getöteten Mannes. Der Betroffene hatte demnach alleine in seiner Wohnung gelebt. Die beschriebenen Verhaltensweisen könnten auf eine psychische Erkrankung hindeuten – in der jüngeren Vergangenheit wurden insbesondere Menschen mit psychischer Erkrankung von Polizisten erschossen.
Die Zeitschrift Cilip -Bürgerrechte und Polizei hat allein im vergangenen Jahr insgesamt 22 Todesopfer durch Polizeischüsse dokumentiert. Die meisten von ihnen befanden sich zum Zeitpunkt der tödlichen Angriffe in psychischen Ausnahmesituationen oder waren bereits wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung. Auch der erschossene 61jährige war schon am Dienstag in der Datenbank der Fachzeitschrift aufgetaucht.
Aus dieser geht auch hervor, dass in den ersten elf Wochen des laufenden Jahres nun schon vier Menschen durch Polizeikugeln getötet wurden, drei von ihnen innerhalb der letzten acht Tage. So hatten Polizeibeamte noch am Dienstag vergangener Woche einen 38jährigen Mann in seiner Nürnberger Wohnung erschossen. Am Freitag hatte dann eine Spezialeinheit des Landeskriminalamts in Sachsen-Anhalt in Schönstedt im Salzlandkreis auf einen 26jährigen Mann afghanischer Herkunft geschossen, der später im Krankenhaus an seinen Verletzungen starb.
Die Behörden in Darmstadt hatten den Senioren offenbar als gefährlich eingestuft. Da der Sozialdienst »eine mögliche Gefährdungslage« durch den Mann nicht habe ausschließen können, sei die Polizei als Personenschutz dazu gerufen worden, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage gegenüber jW. Da es sich bei der Prüfung einer gesetzlichen Betreuung aber nicht um eine strafrechtlich relevante Sache gehandelt habe, könne die Staatsanwaltschaft keine näheren Angaben zu den Gründen des Besuchs machen, hieß es. Der Sozialdienst der Stadt äußerte sich im Telefonat ähnlich, eine Anfrage blieb bis jW-Redaktionsschluss unbeantwortet.
Das für das Betreuungsgericht zuständige Amtsgericht in Darmstadt wusste etwas mehr über den Fall zu berichten. Der Pressesprecher erklärte auf jW-Anfrage, der Sozialdienst habe einen Beschluss der Kammer vom 20. Februar ausführen sollen, wonach eine gesetzliche Betreuung des betroffenen 61jährigen zur Prüfung angeordnet worden sei. Es habe »Anhaltspunkte gegeben, wonach eine gesetzliche Betreuung für den Mann nötig sein könnte«. Da der Senior nicht auf Schreiben der Kammer reagierte, »seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist«, sei die Prüfung zur Betreuung angeordnet worden. Ein Beschluss, der »notfalls auch mit Zwang« durchsetzbar sei.
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