»Die BRD schließt sich dem Kreis der Unwilligen an«
Interview: Marc Bebenroth
Das am Wochenende vorgelegte Sondierungspapier von Union und SPD hält auf knapp zwei Seiten Vereinbarungen zur Migrationspolitik fest. Wie oft mussten Sie nachlesen, um die Tragweite zu erahnen?
Nach diesem Wahlkampf war es nicht ganz überraschend, dass die drei Parteien zum Fluchtabwehr- und Asylverhinderungsprogramm greifen werden. Es gibt Formelkompromisse, die potentielle Rechtsbrüche verkleistern sollen. Aber Menschenrechte, Menschenwürde und Menschlichkeit sind unter die Räder geraten. In einem Nebensatz zur Bezahlkarte sehen wir auch eine mögliche Drohung.
Man werde die »Umgehung unterbinden«, heißt es zur Bezahlkarte für Geflüchtete.
Sie ist stigmatisierend und mit dem Schutz der Menschenwürde nicht vereinbar. Es gibt humanitäre Hilfe, es gibt Tauschbörsen und dieser kleine Halbsatz klingt wie eine Drohung in Richtung Zivilgesellschaft.
Die neue Regierung werde »Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen«. Wie passt das zur geltenden Rechtslage?
Das ist nach europäischem Recht nicht möglich. Es könnte so kommen, dass Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei die Zurückweisung von Schutzsuchenden vollziehen, einfach damit mehr Menschen zurückgewiesen werden. Falls das Schule macht, sehen wir eine Kaskade der Abwehr bis zu den Außengrenzen. Mit diesem Programm wird sich Deutschland dem großen Kreis der Koalition der Unwilligen anschließen. Das bringt Unsicherheit und Leid, aber auch Menschenrechtsverletzungen mit sich. Familien werden die Leidtragenden sein.
Die SPD hatte vorab rechtliche Bedenken geäußert. Dem Kanzleramt lag ein Gutachten vor, das diese ebenfalls aufwirft. Welche wirksamen juristischen Grenzen kann man dem, was hier angekündigt ist, setzen?
Was versucht wird, ist ein »Lass uns was probieren, bis uns die Gerichte vielleicht stoppen.« Einfach mal ein hartes Zeichen nach Europa und in die Welt senden, das sagt: »Bei uns gibt es kein Willkommen mehr!« Das ist das Kalkül der Alleingänge nach dem Trumpschen oder Merzschen Modell.
Welchen Unterschied macht es, ob Zurückweisungen mit den Nachbarstaaten abgestimmt werden oder nicht?
Alle sind bereit zu mehr Härte. Aber innerhalb der EU haben wir ein geregeltes Verfahren. Die anderen Staaten sagen, Deutschland kann nicht einfach die Leute über die Grenze schieben. Das ist der innereuropäische Zwist. Wenn schließlich alle gemeinsam Härte zeigen, dann geht es Richtung Außengrenze. Dort haben wir jetzt schon eklatante Menschenrechtsverletzungen, schwere Straftaten, einschließlich Todesfällen und dem Sterbenlassen bei Pushbacks auf See.
Um bedrohten Menschen aus Ländern wie Afghanistan Schutz zu gewähren, hat der Bund bisher Aufnahmeprogramme aufgelegt. Diese sollen laut Sondierungsergebnis »soweit wie möglich« beendet und keine neuen mehr aufgelegt werden.
Es gibt keinen Platz mehr für Humanität gegenüber den afghanischen Frauen und Mädchen. Die Rettungsleine, ein humanitäres Aufnahmeprogramm als legaler Fluchtweg, wird gekappt. Das ist für ein großes demokratisches Land im Zentrum Europas beschämend.
Was bedeutet es für Geflüchtete in der BRD mit »subsidiärem Schutzstatus« und deren Angehörige im Ausland, falls die neue Regierung den Familiennachzug tatsächlich »aussetzt«?
Viele Menschen, die subsidiären Schutz als Form von internationalem Schutz nach EU-Recht haben, werden viele Jahre lang oder dauerhaft von ihren Familien getrennt. Eine Konsequenz wird sein, dass sich auch Familienmitglieder – oft Frauen und Kinder –, auf den gefährlichen, häufig tödlichen Weg nach Europa begeben.
… und zum Beispiel mehr Kinder im Mittelmeer sterben?
Im Mittelmeer, in der Ägäis. Familien so zu zerreißen, das steht nicht im Einklang mit unserer Rechtsauffassung. Der Zugang zum Asylrecht wird immer mehr blockiert und reguläre, gefahrenfreie Zugänge zum Schutz werden gekappt. Das ist die Botschaft dieses Sondierungspapiers.
Karl Kopp ist Geschäftsführer von Pro Asyl e. V.
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