Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Dienstag, 1. April 2025, Nr. 77
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 19.03.2025, Seite 4 / Inland
Militarisierung

SPD wieder für Kriegskredite

Deutschland 2025: Union, SPD und Grüne beschließen historische Aufrüstung. Protest vor dem Bundestag
Von Max Grigutsch
4.jpg
Protestaktion der BSW-Abgeordneten am Dienstag im Bundestag

Es ist beschlossene Sache. Nur einen höflichen Applaus gab es dafür, dass die SPD in vollendeter Geschichtsvergessenheit zusammen mit CDU/CSU und Grünen für die Grundgesetzänderungen zur Finanzierung der durchaus historischen Aufrüstung der BRD gestimmt hat. Im Bundestag verlas Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Dienstag nachmittag das Endergebnis der namentlichen Abstimmung: 513 Jastimmen, 207 Neinstimmen. Keine Enthaltungen. 489 Stimmen waren erforderlich.

Als »historisch« bezeichneten verschiedene SPD-Parteifunktionäre die Abstimmung schon im Vorlauf. Beschlossen wurde einerseits die Aufweichung der sogenannten Schuldenbremse für Militärausgaben, die über ein Prozent des BIP hinausgehen, andererseits ein Kreditpaket in Höhe von 500 Milliarden Euro für nicht klar definierte »Infrastruktur«-Vorhaben. Nach einer Debatte um etwaige Abweichler der federführenden Fraktionen zeichnete sich nach eigenen Angaben schon am Morgen ab, dass diese keine Probleme machen würden.

Dass es sich um »Entscheidungen von historischer Bedeutung« handele, betonte auch der scheidende – und vielleicht künftige – Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor einem vollen Saal. Man stehe vor »einer der größten, wenn nicht der größten sicherheitspolitischen Herausforderung in der Geschichte unseres Landes«, so der Post-1914-Sozialdemokrat. »Wer heute zaudert, wer sich heute nicht traut, wer meint, wir könnten uns diese Debatte noch über Monate leisten, der verleugnet die Realität.« Der Frieden in Europa sei in Gefahr, und Deutschland komme die »Führungsaufgabe« zu, dieses »freie und demokratische Europa« zu verteidigen, so SPD-Chef Lars Klingbeil. »In historischen Zeiten ein historischer Kompromiss«, bedankte sich Klingbeil bei Union und Grünen.

Auch der wohl zukünftige Bundeskanzler sieht die BRD in der Rolle eines aufstrebenden Hegemons. »Von unserer Entscheidung heute hängt nicht nur unsere eigene Verteidigungsfähigkeit in den nächsten Jahren, vielleicht in den nächsten Jahrzehnten ab«, verkündete Merz. Kritik am Vorgehen der Union, aber nicht an der Aufrüstung selbst, kam erneut von der Grünen-Fraktion. Merz habe ihre »Kolleginnen und Kollegen diffamiert«, so Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Die Zustimmung der Grünen begründete sie allerdings mit Verantwortung für das Land.

Kritik in der Sache kam unter anderem von Sören Pellmann (Die Linke). SPD und Grüne würden sich für ein »paar Silberlinge erfüllter Wünsche dieser Untat der gigantischsten Aufrüstung« anbiedern und dabei ihre »ehemaligen Ideale verraten«, so der Abgeordnete. Die Erzählung einer unmittelbaren Bedrohung sei eine »Nebelkerze«, auch wenn niemand leugne, dass sich dieses Land schützen müsse. Das BSW sorgte unterdessen mit einem parlamentarischen Protest für Aufruhr im Plenarsaal. Nach dem Redebeitrag der Gründerin Sahra Wagenknecht hielten die Abgeordneten der BSW-Gruppe Schilder mit der Aufschrift »1914 wie 2025: NEIN zu Kriegskrediten!« hoch. Ob die Nachricht bei den Sozialdemokraten angekommen ist, ist zweifelhaft.

Vor dem Parlament regte sich bereits frühmorgens Widerstand. Mehrere hundert Teilnehmer demonstrierten ab 8.30 Uhr gegen einen »Blankoscheck fürs Militär«. Eine Rednerin des Vereins Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW, beanstandete, dass »alle Bereiche der Gesellschaft auf Krieg ausgerichtet« würden. Das sogenannte Infrastrukturpaket diene dazu, »Straßen und Brücken für Panzer« zu bauen, selbst die Krankenhäuser würden auf Krieg eingestellt, so die Rednerin. Auch in den Hochschulen ereigne sich eine »Gleichschaltung« im Rahmen eines »reaktionär-militaristischen Umbaus«, fügte ein Sprecher der Friedenskoordination (Friko) Berlin hinzu, auch mit Verweis auf die Repression gegen die studentische Palästinabewegung. Jutta Kausch-Henken von der Friko bezeichnete den Protest gegenüber junge Welt als »notwendig« und hob hervor, dass ein »breites Spektrum Friedensbewegter vor Ort« sei.

Eine im Anschluss angemeldete Versammlung, zu der das BSW Berlin aufgerufen hatte, scheint indes nicht stattgefunden zu haben. Ein »Streik« von Schülerinnen und Schülern am Mittag brachte ebenfalls nur etwa 50 Demonstranten auf die Straße. Eher ernüchternd ist demnach die Bilanz der Mobilisierungen im Angesicht der allseits als historisch anerkannten Bundestags-Zustimmung für Kriegskredite. Nach jW-Redaktionsschluss sollte am Abend noch eine Kundgebung unter dem Titel »Schluss mit den Kriegskrediten« stattfinden, zu der über 30 linke bis revolutionäre Gruppen aufgerufen haben. Am Freitag steht noch die Zustimmung des Bundesrats aus.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (19. März 2025 um 18:29 Uhr)
    Es war ein Sinnbild für die Entwicklung der Linken, als die ehemalige Pionierleiterin aus dem Prenzlauer Berg und gerade noch so amtierende Vizepräsidentin des Bundestages den Trägern von Transparenten einen Ordnungsruf verpasste. Transparente, die auf die dramatischen Folgen von Kriegskrediten in Deutschland hinweisen: Wo geht denn sowas? Eine scheidende Parlamentarierin der Linken hätte einen A… in der Hose haben können und dem Bundestag etwas davon erzählen können, dass Frieden besser ist als Krieg. Gelernt haben sie das alle einmal, auch die Frau Vizepräsidentin. Vergessen haben können sie das nicht, dazu sind sie zu intelligent. Nur: Sie sind mit der Zeit das Gegenteil von dem geworden, was sie einmal waren. Das schert sie nicht. Wenn sie nur weiter mit am Katzentisch der Politik sitzen dürfen, verraten sie nicht nur ihre früheren Ideale. Sie verraten auch sich selbst.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (19. März 2025 um 03:48 Uhr)
    »Der Frieden in Europa sei in Gefahr.« Frieden auch für andere Länder? Das wollten viele Staaten offensichtlich nicht: Alle Beteiligten am Überfall auf Jugoslawien und Afghanistan, sowie an der »Koalition der Willigen« im Irak, zusätzlich Frankreich (Indochinakrieg, Algerien, Libyen), Belgien (Kongo), Niederländisch-Indien (1603–1956), GB (Indien, aus Platzgründen usw.), Kolonien Italiens, Portugals und Spaniens, teilweise noch nach 1945. Die BRD hätte der Demokratie in Europa dienen können, wenn sie 2014 dem Putschregime in Kiew die Anerkennung versagt hätte, verbunden mit all den Sanktionen, die man ja gern auch gegen das »Assad-Regime« verhängte. Der war einer Annalena Baerbock nicht demokratisch genug. Mit den aus dem IS hervorgegangenen islamistischen Extremisten nahm sie sich dagegen sofort Kontakt auf und plädierte für die Aufhebung von Sanktionen. Deutschland hätte 2014 den Putschisten in Kiew jegliche wirtschaftliche, finanzielle und militärische Unterstützung versagen können und die Rückkehr des demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch fordern können. Es hätte statt dessen dem nicht gewählten venezolanischen »Präsidenten« Guido unbedingt die Anerkennung verweigern müssen. So hätte Deutschland beweisen können, dass bei uns uneingeschränkt demokratische Grundsätze gelten. Aber die deutsche Regierung tat (und bewies damit) das Gegenteil. Angefangen von Franco, fortgesetzt bei Pinochet bis hin zum indonesischen Massenmörder Suharto (besonders freundschaftlicher Umgang durch Helmut Kohl) gab es keinen auch noch so von Blut triefenden Diktator, den die deutsche Regierung nicht unterstützt hätte, wenn es opportun erschien. Doch entweder man ist schwanger oder man ist es nicht. Niemand darf sich Demokrat nennen, der im Ausland Nichtdemokraten unterstützt (z. B. Selenskij). Keine Rechtssprechung darf wie die unsere beanspruchen, nicht korrupt zu sein, wenn sie Bestechung im Inland verbietet, im Ausland erlaubt.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Ausschnitt aus einem Plakat der Kommunistischen Partei Deutschla...
    18.03.2025

    Nein zu Kriegskrediten!

    An diesem Dienstag entscheidet der abgewählte Bundestag über ein Billionen-Euro-Rüstungsprogramm
  • Noch nichts geklärt: Die Gegner der Neuverschuldung für Aufrüstu...
    18.03.2025

    Manöver vor Gericht

    Aufrüstungsorgie: Vor Bundestagsabstimmungen bemühen weitere Abgeordnete Karlsruhe

Mehr aus: Inland