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Aus: Ausgabe vom 20.03.2025, Seite 6 / Ausland
Somalia

Zerrissenes Land

Somalia: Präsident entgeht Attentatsversuch. US-Pläne für Umsiedlung aus Gaza
Von Bernard Schmid
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Der Bombenanschlag auf Präsident Mohamud in Mogadischu rüttelte die gesamte Stadt auf (18.3.2025)

Es war das zweite Mal seit 2014: Am Dienstag ist Somalias Staatspräsident Hassan Scheich Mohamud erneut einem Bombenanschlag entkommen. Bei dem Attentatsversuch gab es laut Africa News drei Todesopfer. Mohamud war auf dem Weg zum Flughafen, als am Straßenrand ein Sprengsatz explodierte. Dazu bekannte sich die »Bewegung der jungen Glaubenskämpfer«, arabisch kurz Schabab genannt, die seit 15 Jahren gegen die Zentralregierung kämpft und vor allem in Südsomalia Gebiete kontrolliert. Ebendort wollte Mohamud am Dienstag Militärmanövern gegen die Schabab-Miliz beiwohnen.

Auch in der Bevölkerung gibt es Widerstand gegen die Fundamentalislamisten, die eine reaktionäre Ideologie mit rebellischem Auftreten kombinieren, das in ihrer Frontstellung gegenüber dem globalen Norden wurzelt. So demonstrierten im vergangenen August Hunderte Menschen drei Tage nach einem Anschlag an einem belebten Strand der Hauptstadt Mogadischu trotz der verbreiteten Angst vor den Dschihadisten. Ein Suizidattentäter hatte zunächst einen Sprengsatz gezündet, kurz darauf eröffneten andere Kombattanten das Feuer: 37 Menschen wurden getötet, 70 weitere verletzt.

Auch Regierungstruppen drangsalieren die Bevölkerung. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International etwa hat in ihrem Jahresbericht 2023 gleichermaßen die Armee, mit ihr gegen die Schabab kooperierende Soldaten der Nachbarstaaten Dschibuti, Äthiopien und Kenia wie auch die Miliz beschuldigt, im Berichtszeitraum am Tod von 945 Zivilisten mitverantwortlich zu sein. Geschätzte 2,9 Millionen Menschen in dem 17 Millionen Menschen zählenden Land am Horn von Afrika sind kriegsvertrieben.

Somalia war in eine tiefe Krise geschlittert, nachdem der seit 1969 regierende General Siad Barre – er stützte sich erst auf die Sowjetunion und näherte sich später dem Westen an – 1991 gestürzt worden war, sich jedoch keine allgemein anerkannte Nachfolgeregierung herausbilden konnte. Darauf begann das Land, in Kriegen zwischen Klanführern, allen voran der zum Interimspräsidenten ernannte Ali Mahdi und der Warlord Mohammed Farah Aidid, zerrissen zu werden. Zugleich griffen die USA und Frankreich unter dem Deckmantel der UNO und einer »humanitären Intervention« ein, was ansonsten zerstrittene Bevölkerungsteile vorübergehend zusammenschweißte.

Das Land hat seitdem zu keiner stabilen Einheit zurückgefunden. Ganze Regionen erklärten sich wie Somaliland für unabhängig oder wie Puntland für autonom. Als auch noch Äthiopien militärisch eingriff, bildete sich 2006 die salafistische Schabab-Bewegung. Ihre Grundlage waren die örtlich gut verankerten »Islamischen Gerichte«, die sich als Alternative zu den Klans präsentiert hatten und angesichts von Staatsverfall und auswärtiger Intervention für Ordnung sorgen wollten. Während Schabab Al-Qaida nahesteht, besteht im Nordosten Somalias seit einiger Zeit auch ein militärisch schwächerer Ableger des sogenannten Islamischen Staates (IS). Gegen beide Milizen richten sich periodisch US-Bombardements.

Unterdessen berichtete AP am Freitag, die US-Regierung habe Verhandlungen ausgerechnet mit dem instabilen Somalia, aber auch mit Somaliland – einem Zerfallsprodukt des Landes in der Krise seit 1991 – sowie dem Bürgerkriegsstaat Sudan aufgenommen, um dorthin die zwei Millionen palästinensischen Einwohner Gazas oder einen Teil von ihnen zu deportieren. Man wagt kaum, von einer »historischen Ironie« zu sprechen, doch tatsächlich hatte es bereits einmal Pläne für Zwangsansiedlungen in Somalia gegeben, und zwar seitens Benito Mussolinis. 1938 nahm das faschistische Italien eine antisemitische Gesetzgebung an. Außenminister Galeazzo Ciano notierte am 30. August jenes Jahres in seinem Tagebuch, der Diktator denke an eine Deportation der in Italien lebenden ausländischen Juden in das Sultanat Migiurtinia im Norden der damaligen Kolonie Italienisch-Somaliland. Am 4. September 1938 wiederum schrieb er, Mussolini ziehe jetzt eher das südsomalische Jubaland vor. Bekanntlich kam es nicht dazu.

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