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Aus: Ausgabe vom 19.03.2025, Seite 8 / Ausland
Repression gegen Kurden

»Es gab Verletzte und Inhaftierte«

AKP-Regierung ersetzt kurdische Bürgermeister durch Zwangsverwalter. Ein Gespräch mit Leyla Imret
Interview: Gitta Düperthal
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Nach der Friedensinitiative des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan waren Freudentänze zu sehen: Selbst in Van, im Osten der Türkei in Nordkurdistan, wo doch am 15. Februar der gewählte kurdische Bürgermeister Abdullah Zeydan durch den Zwangsverwalter Ozan Balcı ersetzt wurde. Wie kann das sein?

Kurdische Menschen sind ständig im Widerstand gegen die andauernde staatliche Repression der türkischen AKP-Regierung, sie wollen sich nicht unterkriegen lassen. Öcalans einseitige Friedensinitiative und seine Aufforderung an die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, die Waffen niederzulegen, stiften Hoffnung. Er legt Wert darauf, die Menschen in diese Prozesse von Anfang an zu involvieren. Deshalb gibt es nun Volksversammlungen in den Kommunen, auch in Nordkurdistan. Selbst wenn Recep Tayyip Erdoğans AKP weiterhin kurdische Bürgermeister absetzt, bei Protesten dagegen Demonstrierende mit Polizeigewalt bedroht und verhaftet sowie in Nordostsyrien oder in Südkurdistan im Irak Menschen mit Drohnen ermorden lässt: Viele wollen nach vorne schauen und hoffen auf ein Ende dessen.

Immer wieder werden prokurdische Bürgermeister wegen angeblicher Terrorvorwürfe aus dem Amt gejagt – wie viele insgesamt?

Das geht schon seit 2015 so, als ich als erste Bürgermeisterin abgesetzt wurde. Die prokurdische DEM-Partei gewann 2024 bei den Kommunalwahlen 75 Rathäuser. Davon sind acht unter Zwangsverwaltung: außer Van auch die Städte Bahçesaray, Dersim, Batman, Mardin, Halfeti, Urfa. Im Januar wurden Hoşyar Sarıyıldız und Nuriye Arslan, gewählte Doppelspitze der Gemeinde Akdeniz in der Großstadt Mersin, inhaftiert und durch einen Verwalter ersetzt. Mehrere Rathäuser der Oppositionspartei CHP stehen unter Zwangsverwaltung. 2024 wurde deren Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Esenyurt wegen angeblicher Verbindungen zur PKK verhaftet.

Zeydan wurde Anfang 2024 wegen »Mitgliedschaft in einer Terrororganisation« zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Bei Demonstrationen dagegen schlug die Polizei im Februar in Van brutal zu. Wie ist die Lage aktuell?

Es gab Verletzte und Inhaftierte, die jetzt auf freiem Fuß sind. Der Bürgermeister von Van sitzt nicht im Gefängnis. Das Urteil gegen ihn ist nicht in Kraft; alle drei Monate wird die Entscheidung dazu verlängert. Mein Verfahren läuft seit 2015. Damals konnten Stadträte nach einer Amtsenthebung noch einen Bürgermeister wählen. 2016 beschloss die AKP den Ausnahmezustand, um Zwangsverwaltung zu ermöglichen.

Zu Balcı in Van: Was kann ein Zwangsverwalter anrichten?

Frauen sind ihnen nur als Familienmitglied etwas wert. Im öffentlichen Leben werden ihre Rechte missachtet. Langfristige Infrastrukturprojekte interessieren nicht. Balcı schaffte eine Karte ab, mit der Frauen in Van öffentliche Verkehrsmittel kostenfrei nutzen konnten. Das Rathaus ist ein »Sicherheitsort« mit ständigen Kontrollen. Die DEM-Partei hatte dort eine Tafel installiert, um Ausgaben und Einnahmen transparent zu machen. Die wurde direkt abgenommen. Nach einer Zwangsverwaltung sind die Städte oft hoch verschuldet.

Wie kann es weitergehen?

Bisher sind die Menschen skeptisch, was Erdoğans vermeintlichen Friedenskurs angeht. Er strebt eine erneute Kandidatur für die Präsidentschaftswahl an, wofür diese auf etwa 2026 vorgezogen werden müsste. Er könnte also auf kurdische Stimmen aus sein. Wir erwarten eine Neuordnung mit Anerkennung der Kurdinnen und Kurden in Syrien, im Irak und in der Türkei. Wir fordern Waffenstillstand, keine undemokratischen Zwangsverwaltungen mehr, Repressionen zu stoppen, Gefangene freizulassen und politische Rechte zu gewährleisten.

Die beiden Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, sind seit Jahrzehnten politische Gefangene.

Die İmralı-Delegation, die auch Öcalan auf der gleichnamigen Gefängnisinsel traf, besuchte sie. Wir erwarten, dass sie freikommen. Kurdische Gesellschaften und Organisationen befürworten den Friedensprozess.

Leyla Imret ist Vertreterin der Partei DEM in Deutschland und ehemalige Bürgermeisterin von Cizre. Seit 2017 lebt sie im Exil

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