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Aus: Ausgabe vom 21.03.2025, Seite 2 / Ausland
Gemeinderatswahlen Wien

»Staatsbürgerschaft darf keine Geldfrage sein«

Gemeinderatswahlen: Mehr als ein Drittel der Wiener ohne Wahlrecht. Eine Kampagne möchte das ändern.Ein Gespräch mit Radovan Baloun
Interview: Dieter Reinisch
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Einen regulären Wahlzettel bekommen viele Wiener nie zu Gesicht: Symbolische Stimmabgabe für alle bei der »Pass egal«-Wahl

Am 27. April wählt Wien einen Gemeinderat. Wie steht es um das Wahlrecht, wo gibt es Probleme?

Es wird viel über Migration und Integration gesprochen. Ein großes Problem ist, dass ein Drittel der Bevölkerung nicht wählen darf, weil diese Personen die Staatsbürgerschaft nicht haben und somit nicht das Wahlrecht besitzen. Das sind immer mehr Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und noch nie in einem anderen Land gelebt haben. Das Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich ist sehr restriktiv.

Wer sind die Menschen, die nicht wählen dürfen?

Eine große Hürde ist das Einkommen. Man muss ein sehr großes Einkommen nachweisen können, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Der damit einhergehende Ausschluss vom Wahlrecht trifft daher besonders finanziell benachteiligte Schichten, insbesondere Frauen. Sie sind oft alleinerziehend, arbeiten in Teilzeit, und nach dem Abzug der Miete bleiben ihnen nicht die nötigen 1.200 Euro für die Staatsbürgerschaft.

In Österreich wird das Wahlrecht vererbt, man erhält es nicht automatisch mit der Geburt. Somit betrifft der Ausschluss viele junge Menschen, die hier geboren sind: Wenn ihre Eltern die Staatsbürgerschaft nicht haben, dann erhalten sie auch keine.

Die NGO »SOS Mitmensch« hat berechnet, dass 2050 jeder zweite Wiener vom Wahlrecht ausgeschlossen sein wird. Bei den Nationalratswahlen im September 2024 konnte bundesweit fast jede fünfte Person nicht wählen, aber in Wien ist die Situation viel schlimmer. Wien ist die einzige Großstadt Österreichs und verbindet Menschen mit diversen Migrationshintergründen.

Dürfen bei allen Wahlen nur Staatsbürger teilnehmen?

Die Wien-Wahl sind zwei Wahlen: Gemeinderat und Bezirksvertretungen. Auf Bezirksebene können auch EU-Bürger wählen. Den Gemeinderat dürfen nur österreichische Staatsbürger bestimmen.

Die Stadt Wien selbst hat dazu Zahlen veröffentlicht und Kritik geäußert. Wieso ändert sie das nicht?

Die Stadt kann das nicht ändern, weil es Bundeskompetenz ist. Der Wiener Gemeinderat hat ein Ausländerwahlrecht bereits 2003 beschlossen, das wurde dann vom Obersten Verwaltungsgerichtshof im Juni 2004 wieder aufgehoben. 2022 beschloss die regierende SPÖ in der »Charta der Demokratie« weitreichende Positionen zur Integration, unter anderem für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts.

Sie fordert mit Ihrer Kampagne »Nicht ohne dich!« auch eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Wie soll diese aussehen?

Wie in vielen europäischen Ländern üblich, fordern wir, dass ein Kind, das hier geboren ist, automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen soll, sobald ein Elternteil zumindest fünf Jahre legal im Land war. Außerdem müssen die Einkommenshürden abgeschafft werden, denn es kann nicht sein, dass es vom Kontostand abhängt, ob man wählen darf oder nicht. Ebenso fordern wir bei den Ämtern vereinfachte Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft.

Verwaltungsstrafen müssen als Ausschlussgründe gestrichen werden. Wenn jemand etwa eine Parkstrafe hat, kann es sein, dass man dadurch dann keine Staatsbürgerschaft erhält. Das trifft besonders bestimmte Berufsgruppen, etwa Taxifahrer, die oft kleinere Parkstrafen haben. Es kann nicht sein, dass ihnen dafür die Staatsbürgerschaft verwehrt wird. Gebühren sind ein weiteres großes Problem: Die sind in jedem Bundesland unterschiedlich, teilweise 2.000 Euro. Ein Antrag soll aber nicht mehr als ein Reisepass kosten, also 75 Euro. Staatsbürgerschaft darf keine Geldfrage sein.

Österreich verlangt zudem eine ununterbrochene Aufenthaltsdauer von zehn Jahren. Das ist sehr restriktiv und ein Problem für junge Leute, die ein Auslandssemester im Studium machen möchten, oder Personen, die sich länger im Heimatland um Familienangehörige kümmern müssen. Wenn man nur für einen Tag keinen durchgehenden Aufenthaltstitel hat, beginnen die zehn Jahre erneut.

Findet sich zu dem Thema etwas im Regierungsprogramm?

Zwei Punkte sind vereinbart. Einerseits sollen die Verwaltungsstrafen als Ausschlussgrund abgeschafft werden, was wir begrüßen. Andererseits ist eine sprachliche Verschärfung von B1 auf B2, was Abiturniveau bedeutet, geplant. Das wird negative Auswirkungen auf die Einbürgerungszahlen haben.

Radovan Baloun ist Aktivist der SPÖ Wien im Bezirk Simmering

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