Tradition und Widerstand
Von Askandar Jafari
Das Fest Newroz wird jährlich am 20. oder 21. März von vielen Bevölkerungen des Nahen Ostens gefeiert. Für Tadschiken, Perser, Afghanen und Usbeken markiert es vor allem den Frühlingsbeginn. Doch für die Kurden ist es weit mehr als das – es ist ein Symbol des Widerstands, der Freiheit und des Kampfes um Selbstbestimmung. Während die Feierlichkeiten in einigen Regionen Kurdistans in freier Atmosphäre begannen, werden sie in anderen unterdrückt oder zumindest streng kontrolliert.

In Westkurdistan, also der als Rojava bekannten Region in Nordostsyrien, konnte Newroz unter der kurdischen Selbstverwaltung in diesem Jahr frei gefeiert werden. Städte wie Kamischli, Derik, Afrin und Hasaka waren Schauplätze ausgelassener Feierlichkeiten, bei denen Tausende von Menschen mit brennenden Fackeln in den vergangenen Tagen durch die Straßen zogen. In den Jahren bis zur Ausrufung der Selbstverwaltung 2012 war das Feiern von Newroz hier strengstens verboten. Viele Kurden wurden wegen der bloßen Teilnahme an den Festlichkeiten verhaftet. Doch seither hat sich die Lage verändert. Die Menschen können nun Parolen für Freiheit und Demokratie rufen, während sie das traditionelle Newroz-Feuer entzünden.

In Nordkurdistan (Bakur), das unter der Herrschaft des türkischen Staates steht, ist Newroz in diesem Jahr von Hoffnung geprägt. Die Feierlichkeiten finden nur drei Wochen nach der Botschaft von Abdullah Öcalan statt. Der auf der Gefängnisinsel İmralı im Marmarameer inhaftierte Anführer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hatte zur Versöhnung zwischen Türken und Kurden, zur Einstellung des bewaffneten Kampfes und zur Auflösung der PKK aufgerufen. Hunderttausende Menschen versammelten sich in Städten wie Diyarbakır (Amed), Van (Wan) und Hakkâri (Colemêrg). Sie forderten demokratische Reformen, die Freilassung Öcalans und gleiche Rechte für Kurden. In Amed und Wan wurden Personen daran gehindert, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, wenn sie Bilder von Öcalan oder PKK-Symbole bei sich trugen. Trotz dieser Restriktionen gelang es vielen, die Symbole des kurdischen Widerstands in die Veranstaltungen einzubringen.

In Ostkurdistan (Rojhilat), das vom Iran kontrolliert wird, ist das Newroz-Fest von staatlichen Restriktionen überschattet. Der iranische Geheimdienst hatte im Vorfeld gewarnt, dass khakifarbene Kleidung, die als Symbol des kurdischen Widerstands gilt, verboten sei. Kurdische Aktivisten weigerten sich jedoch, sich diesen Vorschriften zu beugen. In Städten wie Urmia (Ûrmiye), Oschnaviyeh (Şino), Ilam, Kermanschah (Kirmaşan) und Sanandadsch (Sine) wurden spontane Feierlichkeiten organisiert, obwohl die Behörden die offiziellen Genehmigungen widerrufen hatten. Bei diesen Feiern riefen die Menschen Slogans wie »Jin, Jiyan, Azadî« (»Frau, Leben, Freiheit«), »Wir vernichten den Kolonialismus« und »Kurdistan, das Grab der Faschisten«. Die Einsatzkräfte reagierten mit Gewalt und nahmen mindestens 15 Menschen – darunter am Mittwoch die zwei Schwestern Evîn und Sarya Ehmedî in Urmia – fest. Nach Angaben von Roj News ist ihr Verbleib unbekannt.
In der Autonomen Region Kurdistan im Irak (Bashur), wo Kurden föderale Autonomie genießen, verliefen die Feierlichkeiten weitgehend ungestört. Die Stadt Akrê in der Provinz Dahuk wurde erneut zum Zentrum der größten Newroz-Feier in Südkurdistan. Mehr als 100.000 Menschen versammelten sich hier, um das Fest zu feiern. Das traditionelle Newroz-Feuer wurde auf den Gipfeln der Berge entzündet, während die Menschen Solidarität mit den Kurden in der Türkei und im Iran bekundeten. Bis zum Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 waren auch hier die Feierlichkeiten stark eingeschränkt.
Während Newroz in einigen Regionen in Kurdistan frei gefeiert werden konnte, standen die Feierlichkeiten in anderen im Zeichen starker Restriktionen. Doch eines bleibt klar: Trotz aller Repressionen lassen sich die Kurden ihr Neujahrsfest nicht nehmen. Mit Fackeln in der Hand und Parolen auf den Lippen senden sie jedes Jahr aufs neue eine Botschaft der Hoffnung – an ihre Unterdrücker, aber auch an die Welt.
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