»Kein einziger Baum darf gefällt werden«
Interview: Gitta Düperthal
Dem Emmauswald in Berlin-Neukölln, einem 3,8 Hektar großen Mischwald und ehemaligen Friedhofsgelände, droht die Abholzung. Wie wird das aktuell politisch debattiert?
Der CDU/SPD-Senat – mit Christian Gaebler von der SPD als Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen – verhandelt dazu mit der Vonovia-Tochter Buwog. Die beabsichtigt, dort 670 Wohnungen zu bauen, darunter 440 Eigentumswohnungen mit Tiefgaragen. Der Emmauswald stellt für die Nachbarschaft mit seiner 200 Jahre alten Vegetation, mit 725 Bäumen, 21 geschützten Vogelarten, Fledermäusen und Eidechsen ein wichtiges Naherholungsgebiet dar. Bei Regen speichert er das Wasser, in Hitzesommern kühlt er das aufgeheizte Stadtviertel herunter. Der Wald, in der Nähe des am stärksten von Umweltverschmutzung belasteten Kiezes Berlins, dient als Frischluftschneise. Gerade in der Klimakrise ist das bedeutsam. Er liegt neben der am zweitstärksten befahrenen Straße Deutschlands, der A 100, nahe einer Luftmessstation mit den schlechtesten Werten Deutschlands. Die Berliner Forstbehörde hat den Emmauswald im Sommer 2023 offiziell als Wald eingestuft.
Der eklatante Wohnungsmangel in Berlin ist unbestritten. Haben Sie deshalb einen schweren Stand mit Ihren Protesten gegen das Abholzen des Waldes?
Man könnte denken: Der Drops ist gelutscht. Tatsächlich sollen nur 230 Sozialwohnungen gebaut werden, obendrein jene 440 Eigentumswohnungen. Nur 17 Prozent der Berliner Eigentumswohnungen werden von ihren Eigentümern bewohnt. Die Mehrzahl wird also hochpreisig vermietet. Wir reden hier von bis zu 1500 Euro warm für Wohnungen mit 45 Quadratmetern. Preise in der Höhe kann sich aus der Neuköllner Bevölkerung niemand leisten. Übrigens wäre dies nicht nur im Fall der geplanten Wohnungen auf dem Waldgelände skandalös, sondern treibt zudem die ortsübliche Vergleichsmiete in die Höhe. Immobilienbesitzern oder –unternehmen dient ein solches Bauvorhaben mitunter als Kapitalanlage.
Es scheint in diesem Fall so, als stünden sich Klimaschutz und Wohnungsnot entgegen. Wie argumentieren Sie in diesem Kontext gegen die Abholzung?
Klimawandel und Wohnungsbau sollten Hand in Hand gehen. Wir von der Initiative »Emmauswald bleibt« befürworten, dass bezahlbarer Wohnraum entstehen muss: am liebsten gestern schon! Neben dem Emmauswald gibt es eine bereits versiegelte Brachfläche, etwa mit ungenutzten Parkplätzen. Diese könnte man sofort nutzen, um bezahlbaren Wohnraum zu bauen, durchaus auch in die Höhe. Man hätte das schon vor zehn Jahren angehen können. Aber die Buwog will die Sozialwohnungen nur bauen, wenn sie zusätzlich Eigentumswohnungen bauen darf. Tatsächlich gibt es im Bezirk bereits eine große Anzahl leerstehender hochpreisiger Wohnungen. Genau diesen Missstand gilt es politisch zu beheben. Weiterhin könnte man Wohnungen über Supermärkten bauen. In Berlin gibt es ungenutzte Dachgeschosse, die man endlich bewohnbar machen könnte. Kalkulierter, profitorientierter Leerstand hat in Berlin nichts zu suchen.
Findet all das Berücksichtigung?
Die Stadtsoziologin Dariya Kryshen hatte 2023 einen Runden Tisch zum Thema Liegenschaftspolitik organisiert. Damals ging es unter anderem um angemessene Bauweisen in der Klimakrise. Sie brachte unsere Initiative in Kontakt mit den politischen Entscheidern. Die Grünen und Die Linke unterstützen uns.
Sie besetzen keine Bäume und bauen keine Baumhäuser. Wählen Sie bewusst einen anderen Weg?
Wir gehen optimistisch davon aus, dass die zuständigen Politikerinnen und Politiker nun Kenntnis haben. Es gilt, kreative Lösungen zu finden, bei denen Klimaschutz und Wohnungsbau eine fruchtbare Allianz bilden. Klar ist zu befürchten, dass man im Fall des Emmauswaldes einen Kompromiss finden und nur einen Teil des Waldes erhalten will. Man darf auch nicht den Druck der Immobilienlobby unterschätzen, die Investoren zufriedenstellen wollen. All das lehnen wir ab. Kein einziger Baum darf gefällt werden.
Judith König ist aktiv bei der Initiative »Emmauswald bleibt«
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