Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 24.03.2025, Seite 4 / Inland
Faschistische Mobilmachung

Sie kamen nicht durch

Berlin: Neonaziaufmarsch nach wenigen Metern von der Polizei wegen Antifablockaden gestoppt
Von Nick Brauns
»Berlin bleibt rot«: Antifaschistische Straßenblockade am Sonnabend in Berlin-Friedrichshain
Marschiert wird nicht: Polizei verhindert Durchbruchversuch von Neonazis bei ihrer Kundgebung am Ostkreuz
Leicht modifizierte Naziymbolik neben Schwarz-Rot-Gold auf dem Naziaufmarsch am Sonnabend in Berlin

Am Ende flossen Tränen der Verzweiflung. »Aber wir sind doch für Deutschland«, ruft eine junge, schwarz gekleidete Frau mit Gesichtspiercings den Polizisten in Kampfmontur entgegen, die den Aufmarsch von rund 800 Faschisten nach gerade einmal hundert Metern vor dem Berliner Bahnhof Ostkreuz gestoppt hatten. »Wo Sie jetzt stehen, ist das Ende ihrer Versammlung«, wurde vom Lautsprecherwagen der Polizei verkündet. Man habe schließlich auch eine »Verantwortung für die Sicherheit der Demonstranten«, hatte eine Polizeipressesprecherin zuvor mit Blick auf mehrere tausend Nazigegner, darunter neben Antifagruppen auch Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei, die die weitere Route blockiert hatten, gegenüber jW den Stopp des rechten Aufmarsches begründet.

Die Aussicht, durch das als linksalternativ geltende Szeneviertel Friedrichshain zu ziehen, hatte zwar deutlich mehr Faschisten zu der unter dem Motto »Für Recht und Ordnung. Gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt« vom früheren Aachener AfD-Kommunalpolitiker Ferhat Sentürk angemeldeten Demonstration angelockt, als zu vorangegangenen Aufmärschen in den Vormonaten. Doch die Hoffnung, durch einen Auftritt von Hannes Ostendorf, Sänger der rechten Hooligan-Band Kategorie C, größere Kontingente straßenkampferprobter Fußballfans anzuziehen, hatte sich nicht erfüllt. Gekommen waren überwiegend junge Neonazis von Gruppierungen wie »Deutsche Jugend Voran«, die »Gersche Jugend« und »Chemnitz Revolte«. Schwarz-rot-goldene Deutschland-Fahnen, schwarz-weiß-rote Reichsfahnen und nur leicht modifizierte Nazisymbolik, wie Reichsadler mit Eisernem Kreuz statt Hakenkreuz, dominierten den Aufzug. Abgespielt wurde auch das »Teufelslied« – eine textliche Variation des Naziliedes »SS marschiert in Feindesland«. Als die Parole »Ost-, Ost-, Ostdeutschland« angestimmt wurde, forderte die Demonstrationsleitung, lieber »Ein, ein, ein Deutschland« zu skandieren.

Die Polizei meldete mehr als 80 Festnahmen von Neonazis, etwa wegen verfassungswidriger Symbole oder des Zeigens des Hitlergrußes. Festgenommen wurden auch über 20 antifaschistische Gegendemonstranten unter dem Vorwurf des Landfriedensbruchs und Widerstands gegen die Polizei, zum Einsatz kam dabei, anders als gegen die Neonazis, Pfefferspray. Acht von elf verletzten Einsatzkräften seien durch die »erhebliche Lautstärke der Sirene eines Busses« verletzt worden, erklärte die Polizei auf X. Gemeint ist der »Adenauer«-Bus der linksliberalen Aktionsgruppe »Zentrum für politische Schönheit«, der vor dem als Stützpunkt der Antinaziproteste dienenden Technoklub »About Blank« parkte. Verkehrte Welt: Während Nazidemoanmelder Sentürk, dessen Familie aus der türkischen Schwarzmeerregion stammt, seine Redebeiträge mit »Free Palestine« beendete, sind in dem als links firmierenden, aber zur proisraelischen »antideutschen« Szene zählenden Technoklub palästinensische Kufijas ausdrücklich unerwünscht.

Für Sonnabend hatten auch die Reste der »Querdenker«-Bewegung unter dem Motto »Gemeinsam für Deutschland« zu Protestmärschen in 15 Städten aufgerufen. Gefordert wurde auf Demos, zu denen auch Neonazis wie die »Freien Sachsen« mobilisiert hatten, Grenzkontrollen und ein Ende der Militärhilfen für die Ukraine. Mit laut Polizei 1.500 Teilnehmern fand die größte Versammlung in Stuttgart statt – bei wesentlich mehr Gegendemonstranten. In anderen Städten blieb die Beteiligung deutlich unter den Erwartungen der Veranstalter. So kamen etwa in Kassel statt der erhofften 5.000 nur 500 Demonstranten. Der ehemalige Linke-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm sprach sich dort als Redner für ein »Zusammengehen von linken und rechten Patrioten« aus.

Hinweis: In einer ersten Fassung des Artikels haben wir geschrieben, dass der frühere Linke-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm auf einer Veranstaltung für eine »Fusion von AfD und BSW« eingetreten sei. Dies muss insofern präzisiert werden, dass Dehm für ein »Zusammengehen von linken und rechten Patrioten« warb, aber nicht wortwörtlich einen Zusammenschluss der beiden genannten Parteien forderte. (jW)

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (25. März 2025 um 11:35 Uhr)
    Proteste antifaschistischer Jugend gegen Naziaufmärsche geben Hoffnung. Sie zeigen, es gibt eine deutsche Jugend, die mehr Verstand, Geist und Vernunft im Kopfe hat, als es eine Vielzahl derer auszeichnet, die der »medialen Massenverblödung« (Scholl-Latour) tagtäglich anheimfallen. Massenverblödung und -manipulation findet hochaktuell dort statt, wo ein Staat, seine Medienwelt sich antifaschistisch zu geben sucht, sich als Kämpfer gegen Antisemitismus schmückt, seinen Gewaltapparat gegen scheinbaren Antisemitismus einsetzt und zugleich faschistisches Gedankengut toleriert, faschistische Gewalt kleinredet, halbherzig verfolgt, nicht sehen will, nur notgedrungen verfolgt, vernebelt und wegredet. Verlogen und heuchlerisch demokratisch den Faschisten »demokratisch« den Weg bahnt. Unbemerkt bahnt sich im Schutze des Staates der Faschismus seinen Weg. Repräsentanten des Staates haben kein Problem, sich mit Faschisten im In- und Ausland zu zeigen, Faschisten in der Ukraine zu fördern, kritiklos alles Faschistische in ihre Wertepolitik zu integrieren.
    Mediale Massenverblödung geht einher mit Unwissenheit, Ahnungslosigkeit, mit erschreckender Unkenntnis der Geschichte, die aus den Köpfen gespült ist. Ohne Offensive der neoliberalen Politik und Wirtschaft seit Mitte der 70er ist die Deformation der Medienwelt nicht zu verstehen. Denkfabriken entstanden, die nichts anderes als Manipulation des Denkens der Massen zum Ziel haben. Vor fast 15 Jahren gab auf einer antifaschistischen Demo in Hamburg-Harburg der Schauspieler Rolf Becker die Antwort darauf, warum Faschisten geduldet werden – weil sie irgendwann wieder gebraucht werden. Dem näher denn je ist Gleichgültigkeit auch größer denn je. Zur Massenverblödung gehört es, wenn Hunderttausende Demokraten gegen rechts gefeiert werden, die Friedensfrage abgespalten wird und »demokratische« Wahlen im Ergebnis die wachsende radikale rechte Macht hervorbringen. Vor der Nazipresse erklärte Hitler am 10. November 1938, wie notwendig es sei, das Volk psychologisch umzustellen. Worin befinden wir uns mit Zeitenwende und Kriegsbereitschaft jetzt? Mittel und Methoden sind weitaus raffinierter, undurchsichtiger, manipulierender.
    geworden. George Orwells 1984, Le Bons »Psychologie der Massen« ,Edward Bernays Buch »Propaganda« sind aktuell, werden perfektioniert mit noch weit perverseren Methoden der Manipulierung. Zum TV-Konsum ist viel dazu gekommen, was verwirrend und manipulierend wirkt. Kein hoher IQ schützt davor, neoliberales Scheinwissen in Sprechblasen zu pressen, die täglich aus elitären Kreisen hörbar den Marktfundamentalismus feiern.
    Bert Brecht: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?« Die Beherrschten dürfen ihre Lage nicht erkennen. Deshalb die zahllosen Feindbilder, Schuldigen.
    Milliardäre machen Meinung von Millionen als Gedankendiktatur. Jeder und jede, die sich dem denkend entzieht, ist ein Funke Hoffnung. Den Verblödeten bis Scheinklugen also ihre Lage klarmachen, darum kann es nur gehen. Vorausgesetzt, sie sind noch des Denkens über liberalen Tellerrand fähig und bereit.

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