Landeseigene Zwangsräumer
Von Oliver RastRäumungsklagen, Räumungstitel, Realität für Tausende Mieter in Berlin, selbst bei den sieben landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU). Das ergab die Antwort der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz auf eine schriftliche Anfrage von Katrin Schmidberger und Taylan Kurt (beide Bündnis 90/Die Grünen), die jW exklusiv vorliegt.
Und: In Hunderten Fällen blieb es nicht bei Klagen und Titeln. Die LWU lassen auch zwangsräumen. Allein im vergangenen Jahr 476mal. Vorneweg die Howoge (139), gefolgt von Stadt und Land (139) sowie der Gesobau (95). Ein Rausschmiss, veranlasst von Berliner Landesfirmen. Das empört Schmidberger: »Es kann nicht sein, dass in der aktuellen Wohn- und Mietenkrise Mieterinnen und Mieter von landeseigenen Wohnungsunternehmen auf die Straße gesetzt werden«, betonte die Sprecherin für Wohnen und Mieten ihrer Abgeordnetenhausfraktion am Freitag gegenüber jW. Gerade jene städtischen Vermieter hätten einen Versorgungsauftrag – »vor allem für vulnerable Gruppen und Personen, die auf dem privaten Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben.«
Auffallend ist etwa die unterschiedliche Räumungspraxis. Während Schmidberger zufolge die Gesobau bei rund 70 Prozent aller Klagen Zwangsräumungen vollstrecken lässt, sind es bei der Degewo »nur« 14 Prozent. Die Grünen-Politikerin fordert vom Senat, dass alle LWU einheitliche Verfahren haben müssen. Zuvorderst müsse dabei sichergestellt werden, »dass Menschen Unterstützung erhalten, bevor sie ihre Wohnung verlieren.« Dafür müsse der Senat Maßnahmen für den Mieterschutz stärken, beispielsweise durch Mietzuschüsse oder aufsuchende Beratungsangebote.
Und nicht zuletzt ist der Ausbau von Ersatzwohnraum für Zwangsgeräumte über das sogenannte geschützte Marktsegment (GMS) erforderlich. Auf 2.500 Bleiben für die ohne Bleibe. Dabei sollten, bemerkt Schmidberger, private Immobilienunternehmen stärker eingebunden werden. »Dafür schlagen wir eine Mietgarantie für die Vermieterinnen und Vermieter von zehn Jahren vor.« Der angebotene Bestand müsse ferner bedarfsgerecht sein, auch für Menschen mit Einschränkungen. Davon ist Berlin indes weit entfernt. Aktuell gibt es nur 785 Wohneinheiten von den LWU als Ersatzwohnungen und 171 von privaten Anbietern. Das bei steigender Wohnungslosigkeit, sinkendem Wohnungsangebot wohlgemerkt – ein existenzbedrohlicher Mix.
Was meint die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen von Ressortchef Christian Gaebler (SPD)? Vermeidung von Wohnungsverlust, Bekämpfung von Obdachlosigkeit obliege maßnahmenmäßig »im wesentlichen« den LWU, heißt es aus der Pressestelle am Freitag gegenüber jW. Denn durch das Wohnraumversorgungsgesetz seien die LWU gesetzlich verpflichtet, »außerordentliche fristlose Kündigungen aufgrund von Mietrückständen durch Information, Beratung, Mediation und ähnliche Maßnahmen, wie z. B. die Vereinbarung von Ratenzahlungen, so weit wie möglich zu vermeiden.« Dennoch könne es in »Ausnahmefällen zu fristlosen Kündigungen kommen.« Übersetzt: zu Zwangsräumungen.
Wie rechtfertigen LWU den »Wohnungsklau«? Formalistisch. Räumungsklagen setzten eine Kündigung aus wichtigem Grund voraus, »die eine Vertragsfortsetzung unzumutbar machen«, erklärte Degewo-Pressesprecher Stefan Weidelich am Freitag gegenüber jW. Also etwa dauerhafte Mietschulden, Störungen des Hausfriedens, Tätlichkeiten, illegale Untervermietung. Aber: Räumungen seien »immer nur der allerletzte Ausweg.« Ähnlich äußerte sich Anja Libramm, Vizepressesprecherin von Stadt und Land, – und ergänzte: »Rund 70 Prozent der von uns geräumten Wohnungen sind zum Zeitpunkt der Räumung bereits unbewohnt.« Fatal, so Schmidberger. Die einfachste Maßnahme gegen Wohnungslosigkeit sei, »sie gar nicht erst entstehen zu lassen.«
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