»Privatsphäre wird von Teilen der Politik kriminalisiert«
Interview: Mawuena Martens
Erst einmal eine grundsätzliche Frage: Warum ist Privatsphäre eigentlich wichtig?
Privatsphäre ist ein Grundrecht. Es ist gut, wenn man sich entscheiden kann, wer oder was jemand von mir weiß. Menschen in der Mitte der Gesellschaft spüren das häufig nicht. Aber Menschen an ihrem »Rand« schon. Außerdem können wir gar nicht vorhersagen, was Daten über uns in der Zukunft aussagen. Gleichzeitig werden die Themen Verschlüsselung und Privatsphäre von Teilen der Politik in den kriminellen Bereich verschoben. Das kann auch Topio oder andere Datenschutzorganisationen treffen.
Welches Ziel hat Ihr Verein Topio?
Einerseits der zunehmenden Machtkonzentration der Digitalkonzerne etwas entgegenzusetzen. Es ist der Versuch einer Utopie, die auf Selbstbestimmung und auf Freiheits- und Grundrechte setzt und digitale Teilhabe ermöglicht. Wir wollen außerdem die Möglichkeiten von Open-Source-Software bekannter machen. Denn es gibt eine Alternative zu »Big Tech«.
Was ist Open-Source-Software?
Das sind Programme, die für alle frei verfügbar sind und bei denen man in den Quellcode hineinschauen kann. Damit erlaubt der Urheberrechtsinhaber allen Benutzern, diesen zu nutzen, an die eigenen Bedürfnisse anzupassen und zu verteilen.
Was macht Topio also konkret?
Wir entwickeln einen physischen Ort, an dem man sich mit dem Thema Privatsphäre beschäftigen kann. In Berlin haben wir in der Arminiusmarkthalle zum Beispiel einen Stand, an dem wir Menschen beraten. Dazu braucht es keine Vorerfahrung und es kommen Personen allen Alters zu uns, von 20 bis 80 Jahren. Wir helfen dann, privatsphärefreundliche Betriebssysteme auf PCs und Handys zu installieren, App Stores einzurichten und auf alternative Social-Media-Plattformen hinzuweisen. Wir organisieren zudem Veranstaltungen zu netzpolitischen Themen. Einmal im Monat haben wir auch einen runden Tisch zur analogen Teilhabe. Dazu wollen wir eine Kampagne entwickeln.
Analoge Teilhabe – was ist damit gemeint?
Bestimmte Dienste sind mittlerweile nur noch online verfügbar – was als »digital only« bekannt ist. Wenn also bei einer Behörde Dokumente für einen Antrag nur online eingereicht werden können, schließt das Menschen aus, die das Internet nicht nutzen können oder wollen. Mittlerweile gibt es sogar die Entwicklung hin zu »App only«, so dass man gezwungen ist, bei Apple oder Google Kunde zu sein und sich eine App herunterzuladen. Schätzungen gehen davon aus, dass allein im deutschsprachigen Raum 10 Millionen Menschen durch eine solche Politik von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beziehungsweise von der Nutzung von Diensten ausgeschlossen werden.
Das Recht auf Privatsphäre berührt auch kommerzielle Interessen.
Das ist richtig. Es gibt eine Tendenz großer Digitalkonzerne, die anhand von Nutzerdaten schauen, welche Aussagen sich anhand dieser über das zukünftige Verhalten der Personen ableiten lassen. Weiß man das, können Nutzern zum Beispiel maßgeschneiderte Werbeangebote gezeigt werden.
In der EU gibt es immer wieder Versuche, eine Chatkontrolle durchzusetzen …
Ja, das würde das Recht auf Verschlüsselung von Chats beispielsweise auf Whats-App und Co. verhindern und die Überwachung auch noch automatisieren und mit Filtern durchsetzen. Heute wird das mit dem Kampf gegen Terroristen oder gegen Kindesmissbrauch begründet. Aber wer weiß, vielleicht reicht ja in Zukunft als Begründung ein Verdacht auf Sozialbetrug. Deshalb muss man diese Bestrebungen von Anfang an verhindern, eine Chatkontrolle birgt da große Gefahren. Um es abschließend in den Worten Edward Snowdens zu sagen: »Zu argumentieren, dass man keine Privatsphäre braucht, weil man nichts zu verbergen hat, ist so, als würde man sagen, dass man keine Meinungsfreiheit braucht, weil man nichts zu sagen hat.«
Andy Müller engagiert sich bei Topio e. V. Der Datenschutzverein unterhält einen Beratungsstand in der Arminiusmarkthalle in Berlin
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (23. März 2025 um 22:24 Uhr)Mir fällt in diesem Zusammenhang »digitaler Faschismus« ein. »Die kleine Frau« darf nichts verbergen, weil der große Herrscher a) alles wissen will und b) sein Wissen Staatsgeheimnis ist und die kleine Frau nichts angeht. Was früher der Blockwart und die Denunziation waren, erledigt heute – »behind the scenes« – die Digitaltechnik. Dabei geht es nicht nur um Manipulation, also »personalisierte Werbung«, sondern konkret im Kleinen um Beherrschung. Wenn dem Herrscher bis auf den letzten Cent bekannt ist, wofür ich ihn ausgegeben habe, kann er mich dafür sanktionieren. Oder, wie im Falle Russlands, ganz oder wenigstens von wichtigen (Zahlungs-)Möglichkeiten ausschließen. Wenn der Herrscher meine Leber- mit meinen Zahlungswerten korreliert, was dank ePA und ausschließlich digitalen Zahlungsvorgängen möglich ist, kann er mich vom Bezug der Einkünfte ausschließen und Verhaltensänderungen erzwingen, z.B. jW-Abo kündigen.
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